Keine Chance, der Gewalt zu entgehen

Mit „Gott ist nicht schüchtern“ nach der Romanvorlage von Olga Grjasnowa beginnt die Spielzeit am Berliner Ensemble

Von Katrin Bettina Müller

Vor drei Jahren erschien Olga Grjasnowas Roman „Gott ist nicht schüchtern“. In ihm erzählt sie von drei jungen Syrern und dem Beginn einer Revolution, die sehr schnell mit großer Brutalität bekämpft wird. Ihr Text beruht auf Recherchen und Geschichten, die sie von ihrem Mann, der aus Syrien kommt und fliehen musste, gehört hat. Das Berliner Ensemble begann seine Spielzeit mit einer Dramatisierung des Romans durch die junge Regisseurin Laura Linnenbaum.

Damaskus 2011, das ist ein großer Sprung für das Theater. Zuerst lernt man die Stadt aus der Perspektive von Hammoudi (Marc Oliver Schulze) kennen, der in Paris Medizin studiert hat und als Arzt arbeitet und eigentlich nur kurz zurückkommen wollte, um seinen Pass zu erneuern. Aber dann erhält er keine Erlaubnis zur Ausreise, und nach und nach erlebt man in seinen Telefonaten mit der Freundin in Paris, wie eine bedrückende Realität ihn einholt, ein Laufen gegen Wände, gegen Widerstände, die keinen Deut nachgeben. Zugleich erfährt man von der Hoffnung auf Veränderung durch Amal (Cynthia Micas), eine junge Theaterstudentin. Zusammen mit Youssef, ebenfalls Student, glaubt sie durch Aktionen ohne Gewalt einen Dialog herbeiführen zu können, etwas zu öffnen in der Mauer aus Schweigen, dem Nicht-Reden über Angst, Korruption, Machtmissbrauch.

In den ersten Monologen und Dialogen funktioniert es ganz gut, sich in die Stimmung des Aufbruchs und der Hoffnung versetzen zu lassen. Das Gerüst einer Plakatwand dreht sich auf der Bühne, lässt Amal und Youssef gegen die Repräsentanten der Macht des Assad-Clans mit Farben und Witz agieren. Aber auf dem Gerüst verengt sich auch der Raum, bald sind es nur noch schmale Gänge, zwischen denen sie hoch- und niederklettern.

Ihre Gegenspieler, ein Beamter, ein General, Amals Vater, werden stets von demselben Schauspieler verkörpert, Oliver Kraushaar, der sie immer nur zurückweist und abprallen lässt. Diese Beschränkung auf einen Schauspieler gibt dem System ein konforme Gestalt, es funktioniert ohne Individuen. Das hat einerseits etwas Unheimliches, aber lässt diese Seite der Geschichte auch wie ein graues Blatt erscheinen. Keine Analyse, warum die so sind, wie sie sind.

Im ersten Teil schafft es die Inszenierung, einen anderen Horizont aufzureißen und dicht an die beklemmenden Situationen von Angst, von Verhaftung, von Erpressung, von Verstummen heranzukommen. Bald aber sind die Konstel­lationen auf der Bühne der Wucht der Geschichte nicht mehr gewachsen. Erzählt wird in immer größeren Sprüngen, grauenvolle Erfahrungen pressen sich in wenigen Sätzen zusammen, wenn zum Beispiel Hammoudi, der als Arzt im Untergrund arbeitet, Tausende sterben sieht. Man weiß, wie wichtig das ist, als Nachricht, als Botschaft; aber emotional ist die Verbindung zu den Figuren, die eingangs so gut funktionierte, zerbrochen.

Am Ende hetzt die Inszenierung durch die Geschichte der Flucht aus Syrien, über ein Schiff, das untergeht, bis zu einem Anschlag auf eine Flüchtlingsunterkunft in Deutschland. Das so schnell abzuhandeln bekommt aber beinahe etwas Zynisches, dies musst du noch wissen und das noch, und dann schnell aus dem Theater, wegen Pandemie und so weiter. Da wäre es doch besser gewesen, sich auf einen Ausschnitt aus dem Roman zu beschränken.

Die Bühnenfassung hat Olga Grjasnowa selbst mit der Regisseurin entworfen. Aber es scheint, als wäre ihnen nach der Einführung der Figuren die Luft ausgegangen. Je komplizierter und verzweifelter deren Lage wird und das System ihnen die Luft abschnürt, verliert ihre Theatersprache an Dringlichkeit.

Trotzdem, es fühlt sich auch nicht richtig an, hier auf dem Blick auf die Ästhetik zu beharren. Von diesem Bürgerkrieg zu erzählen, von der Unmöglichkeit, der Gewalt zu entgehen, ist natürlich wichtig. Es auf der Bühne zu versuchen, vielleicht kommt es vor allem darauf an.

Wieder am 15. und 16. September im Berliner Ensemble