Stefan Reinecke über eine Studie zum Rückgang von Populismus
: Die Bilder trügen

Als Zehntausende gegen das vermeintliche Coronaregime demonstrierten, beugten sich PolitikerInnen und KommentatorInnen ratlos und besorgt über diese Melange von Rechtsextremisten, libertären Staatsskeptikern, Exalternativen und Esoterikern. Manche sehen eine neue Pegida-Bewegung entstehen.

Die Populismus-Studie von Bertelsmann und dem Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) zeigt ein anderes Bild. Demokratieskepsis, Elitenfeindlichkeit und Neigung zu autoritären Lösungen sind auf dem Rückzug. Das ist in der Coronakrise, in der die Regierungen fast überall Vertrauen gewinnen, wenig überraschend. Doch dieser Trend begann früher. Corona war der Verstärker, nicht der Grund.

Die politische Mitte um Union und FDP steht zu Recht im Verdacht, in Krisen anfällig für rechte Muster zu sein. Die Studie zeigt, dass der Populismus zwar auch bei Linkspartei- und SPD-Klientelen auf dem Rückzug ist – doch ganz besonders auffällig ist dies in der Anhängerschaft von Union und Liberalen. Das liegt auch daran, dass Migration in den Hintergrund gerückt ist. Die AfD scheint ohne diesen Trigger an Anziehungskraft für die Mitte zu verlieren. Das ist, bei aller Vorsicht, eine gute Nachricht: Die zivile Substanz ist größer als vermutet. Das zeigt, dass wir auf Bilder wie das vom „Sturm auf den Reichstag“ misstrauischer schauen sollten und generell den Suggestionen der Aufmerksamkeitsökonomie, die auf Ereignisse scharfgestellt und für Prozesse blind ist, mit mehr Vorsicht begegnen sollten.

Politisch ist die Botschaft dieser Studie eindeutig: Die Bundestagswahl 2021 wird, wenn sich dieser Trend fortsetzt, im Ringen um die Mitte entschieden, die gemäßigte Angebote schätzt, wenig empfänglich für nationalistische Muster und solide offen für Europa ist.

Für die Linkspartei, die immer mal wieder mit populistischen Bildern flirtet, ergibt sich eine neue Chance. Weil Migration als Identitätsmarker verblasst, kehre das Soziale, vor allem Wohnungspolitik als „Aufregerthema“, zurück, so die Studie. Keine schlechte Aussicht.

inland