medienkritik
: Kein „Schwurbler“ und auch kein „Idiot“

Die Bilder und Videos vom vergangenen Wochenende werden nicht so schnell verschwinden. Dutzende Menschen hatten sich am vergangenen Samstag illegalen Zutritt zu den Treppen des Sitzes des Deutschen Bundestages verschafft. Dort standen sie, riefen rechtsextreme Parolen, schwangen Deutschland-, USA- und Reichsflaggen. Laut Polizei sollen es 300 bis 400 Menschen gewesen sein. Die Bilder sind beängstigend. Sie sind ein Symbol für den bestehenden Rechtsextremismus in Deutschland. Klar also, dass in der deutschen Medienlandschaft ausführlich darüber berichtet wurde.

Viele Medien, beispielsweise der Tagesspiegel, die „Tagesschau“ oder der Spiegel schrieben von einem „Sturm auf den Reichstag“, teilweise sogar ohne die Formulierung in Anführungsstriche zu setzen. Problematisch ist das, weil damit das Framing der Rechten übernommen wird. Die Formulierung legt nahe, dass in einem revolutionären Akt ein Regierungsgebäude eingenommen wurde. Schon in den Wochen vor der Demonstration wurde in rechten und verschwörungsideologischen Telegram-Channels zu einem „Sturm auf Berlin“ aufgerufen. In der Realität passierte nichts dergleichen; es wurde nichts gestürmt – auch wenn Rechtsextreme davon träumen. Dass der unberechtigte Zutritt zu den Stufen vor dem Bundestag durch Neonazis, Reichsbürgern und anderen Rechtsextremen für ikonische Bilder sorgte – allein das ist schlimm genug.

So groß die Gefahr ist, dass Medien rechtes Framing unkritisch übernehmen, genauso schwierig ist es, wenn sie die Vorkommnisse der Demo gegen die Coronamaßnahmen verharmlosen. Ein Beispiel dafür ist die Berichterstattung von Bild.de, in der die Demonstrant:innen vor dem Gebäude des Bundestags als „400 Chaoten“ beschrieben wurden. Wer mehrmals am Tag einer Demo sein Pappschild liegen oder seinen Kaffee im Rucksack auslaufen lässt, kann guten Gewissens als „Chaot“ bezeichnet werden. Rechtsextreme Parolen zu brüllen und Reichsflaggen zu schwenken, macht einen jedoch nicht zum Chaoten, sondern zum Rechtsextremen.

Auch andere Medien griffen auf verharmlosende oder scheinbar „lustige“ Umschreibungen für die Demonstrant:innen zurück. Doch selbst, wenn nicht alle 38.000 Teilnehmer:innen Rechtsextremist:innen sind: Wer mit ihnen auf die Straße geht und ihnen nicht widerspricht, der ist kein „Covidiot“, kein „Schwurbler“ oder „Coronakritiker“. Auch nicht, wenn man Birkenstock und Dreadlocks dabei trägt. Carolina Schwarz