Schmerzgriffe nur mit Ansage

Gerichte erklären Göttinger Polizeieinsatz für rechtswidrig

Ein ruppiger Einsatz der Göttinger Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE) gegen Abschiebungsgegner im Frühjahr 2014 war rechtswidrig. Das hat jetzt das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht (OVG) festgestellt. Es bestätigte eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts (VG) Göttingen vom Mai 2019 und wies die Berufung der Polizei ab. Der OVG-Beschluss ist juristisch nicht mehr anfechtbar.

Am Morgen des 10. April 2014 hatten mehrere Dutzend Menschen gegen die Abschiebung eines Mannes aus Somalia protestiert und dabei das Treppenhaus des Gebäudes blockiert, in dem der Flüchtling wohnte. Die Göttinger BFE räumte die Treppe gewaltsam.

Mehr als ein Dutzend Menschen seien durch Faustschläge, Schmerzgriffe, Hundebisse und den Einsatz von Pfefferspray im geschlossenen Treppenhaus verletzt worden, berichteten damals Zeugen der taz. Die Grüne Jugend Göttingen beschrieb den Einsatz als „beängstigend und vollkommen skrupellos“. Mehrere Demonstranten hätten Beulen, Prellungen und Blutergüsse davongetragen. Die Abschiebung wurde unmittelbar nach dem Einsatz abgebrochen.

Die Klage eines heute 28-jährigen – er hatte sich an den Protesten beteiligt – richtete sich gegen den nicht angekündigten Einsatz von Reizgas im Treppenhaus sowie gegen Schmerzgriffe und Faustschläge gegen seinen Kopf. Der Mann verlor das Bewusstsein und musste von Sanitätern behandelt werden.

Dieses Vorgehen sei rechtswidrig gewesen, befand schon das Verwaltungsgericht. Und zwar schon aus formalen Gründen: Die Polizei hätte ankündigen müssen, dass sie die Nervendrucktechnik anwenden und Demonstranten Schmerzen zufügen wolle. Die Einschätzung des Verwaltungsgerichts wurde jetzt vom OVG bestätigt.

Zu der Frage, ob Reizgas in geschlossenen Räumen sowie Schmerzgriffe und Faustschläge überhaupt verhältnismäßig sind, um eine Blockade aufzulösen, äußerten sich die Gerichte nicht. Das Thema ist aber nicht vom Tisch. Der Anwalt Sven Adam kündigte eine Schmerzensgeldklage seines Mandanten an.Reimar Paul