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Das Zentrum für Künstlerpublikationen in der Bremer Weserburg stellt digitale Kunst aus – physisch besuchbar und als Work in Progress im Internet

Poster zum Selbstdrucken: Heman Chongs „Who watches the watchers?“ Foto: Abb.: Zentrum für Künstler­publikationen

Von Jens Fischer

Ganz schnell online sichtbar werden, dafür ließen sich Museen nach dem Lockdown einiges einfallen. Meist ging es erst mal um eine digitale Abbildung dessen, was man sonst analog gemacht hätte. Die Weserburg, Bremens Museum für Gegenwartskunst, wagt sich nun vorsichtig aus dieser Beschränkung. Gesammelt und kuratiert wird als Work in Progress für den virtuellen Raum gestaltete und dort ohne Bezahlschranke ausgestellte Kunst. Auf www.analog-digital.art entsteht eine Archivierung von Links mit dem Ziel, ein bibliothekarischer Service für endlos enttäuschte Internetsurfer zu werden, die auf Websites, Social-Media-Plattformen und in Blogs ästhetisch wie inhaltlich anspruchsvolle und technisch gekonnte Digitalkunst suchen.

Das Projekt startete gerade erst, sodass noch ein sehr bescheidenes Arrangement von Fundstücken autonom vertriebener Kunst online zu erkunden ist. Ebenfalls zu sehen ist, wie Internetformate auch als Marketing-Tool und Aktionsbasis genutzt werden. Eine Empfehlung ist www.rhizomebook.com. Die Website von Jan van der Til macht ihrem Namen alle verzweigend wurzelnde Ehre und funktioniere als „Ar­chiv, Buch, Ka­ta­log, Ga­le­rie, Por­tal, Ver­lags­sei­te, Shop und Werk“, wie Kuratorin Anne Thurmann-Jajes beim Durchklicken festgestellt hat.

Fix und fertig ist als Ergänzung die physisch besuchbare Kabinettausstelllung „Künstlerpublikationen: analog – digital!“ – mit Beispielen hübsch grenzverletzender Spielerei, also Kunst, die die dichotome Unterscheidung analog versus digital auflöst und in hybriden Formen beide Sphären bedient. Wobei für den kunstgeschichtlichen Rückblick auf die multimedialen Ansätze manchmal nur Datenträger vorliegen, nicht die darauf gespeicherten artifiziellen Versuchungen.

Stolz aufgereiht in einer Vitrine ist eine kleine Sammlung von Floppy Disks. Leicht vergilbt sind die Aufkleber. Etwa mit dem Hinweis, dass Marikke Heinz-Hoek auf einer Diskette etwas zur Mythenbildung um Filmstars sagen wollte, indem sie fantasietrunken mit Worten und Bildern einem Besuch Marilyn Monroes in Bremen nachspürt. „Wir haben aber leider weder Laufwerk noch Programm, um die Datei öffnen zu können“, erklärt Thurmann-Jajes. Auch eine CD-ROM von Jenny Holzer aus dem Jahr 1990 liegt fest verschlossen unter Glas, damit soll laut Aufdruck eines ihrer Markenzeichen, ein Text-Laufband, als Bildschirmschoner installiert werden können, sie sei aber leider auch nicht auslesbar.

Dass Besucher selbst an bereitgestellten Computern zu Digital-Art durchs Netz surfen können, ist coronakrisenbedingt derzeit leider untersagt.

Jan van der Til hat über seine Internet-präsenz das „Book III“ ausgestellt. Es besteht aus 250 PDFs, auf denen jeweils ein Foto platziert ist, das aus einem Gartenbuch kopiert wurde

Gut zu der so veränderten Lebensrealität passen hingegen Angebote, Grafiken und Kunstbücher dank Web-to-Print-Angeboten wie der Selfpublishing-Plattform www.lulu.com zu Hause selbst auszudrucken. Zudem können Menschen so viel schneller erreicht werden, um sich mit Kunst zu beschäftigen.

Veröffentlichen zum Vervielfältigen, also Verbreiten von Kunst geht auch für lau. So hat Jan van der Til über seine Internetpräsenz das „Book III“ ausgestellt, es besteht aus 250 PDFs, auf denen jeweils ein Foto platziert ist, das aus einem Gartenbuch kopiert wurde. Alle PDFs sind online durchblätter- und ansehbar, aber eben auch daheim kostenlos mit der Performance des eigenen Druckers analog zu generieren, eine Anleitung zum buchgemäßen Falten und Zusammenlegen der Blätter wird mitgeliefert.

Heman Chong forderte seine Instagram-Follower zum Print seiner grafischen Poster zur Wahl in Singapur im Juli dieses Jahres auf, eines hängt nun in Bremen. „Who watches the watcher“ steht darauf: Wer kontrolliert in einem modernen Überwachungsstaat die Überwacher?

Medienkritisch kommt auch David Horvitz daher, er hat Wikipedia ein Foto von sich, Gesicht in den Händen vergraben, lizenzfrei zur kostenlosen Nutzung ohne Namensnennung zur Verfügung gestellt – und dann geschaut, wo und wie es benutzt, also mit welcher symbolischen Bedeutung oder illustrierenden Wirkung es für Artikel, Blogs, Werbung eingesetzt wird. Das Auswertungsbuch „Mood disorder“ liegt in der Weserburg auch unter Glas, der interessierte Besucher kann es aber ja gleich per Smartphone als Print-on-Demand anfordern.

Kopiert und als PDF zusammengebunden: Jan van der Til blättert für sein „Book III“ ein Gartenbuch durch Foto: Bettina Brach

Aber damit gibt sich die kleine Schau nicht zufrieden, will auch noch Einführung in die Computerkunst sein und zeigen, wie mit den digitalen Medien originär Kunst zu machen ist, wenn kreative Ideen maschinengerecht formuliert, dann verarbeitet und schließlich an der Mensch-Maschine-Schnittstelle wieder ins Analoge transformiert, also interpretiert werden. Etwa Grafiken, die mit den Buchstaben, Ziffern und Sonderzeichen des ASCII-Codes gestaltet sind.

Aber auch wenn die Kuratorin von einem „konkreten visuellen Poem“ spricht, wirken die ersten 25 Seiten von Timm Ulrichs „Permutation“ eher prosaisch, hatte er doch 1971 alle Kombinationen der in diesem Wort enthaltenen Buchstaben ausgedruckt. Noch vor ihm entlockte der heutige Bremer HfK-Professor Frieder Nake mit Algorithmen einem Computer grafische Bilder, ausgestellt sind Kompositionen sich kreuzender Geraden aus dem Jahr 1965, eine Pioniertat, die Nake 40 Jahre später mit Computeranimationen kombinierte.

Aus lokalpatriotischer Sicht ist es eine prima Idee, mit Nake und Heinz-Hoek, die auch Absturzbilder ihres Atari-Zeichenprogrammes zeigt, das Ausstellungsthema vor allem von zwei regional verankerten Künstlern auffächern zu lassen, niemand sonst ist mit auch nur annähernd so vielen Werken in der Ausstellung vertreten wie diese beiden. Fast 60 Jahre arbeitet Nake bereits an berechenbarer Kunst, Ästhetik als Informationsverarbeitung“, wie er schrieb. Mit einer neuen Arbeit sorgt er auch für die einzige Bildschirmarbeit der Schau: Kasimir Malewitschs „Schwarzes Quadrat auf weißem Grund“ aus dem Jahr 1915 prunkt als Ikone der Malerei-Moderne auf einem Monitor, löst sich nach und nach auf in bunten Pixeln, die sich zu farbigen kleinen Quadraten zusammenlagern, bis sich die Farben so lange vermischt haben, dass alles wieder pechwarz aussieht.

„Künstlerpublikationen: analog – digital!“: bis 25.10., Bremen, Weserburg/Zentrum für Künstlerpublikationen; Online-Ausstellung: www.analog-digital.art