: Schönheiten des Sprechens
Werkshallen und Büros in der ästhetischen Wirklichkeit des Films überwinden: Im Zeughauskino startet heute eine Retrospektive der Werke von Hartmut Bitomsky
Von Peter Nau
In den ersten Filmen des Regisseurs Hartmut Bitomsky liegt eine starke, von Jugendträumen des Künstlers beflügelte Richtungskraft. Die Eindrücke werden so miteinander verwoben, dass sinnvolle Muster für ein gelingendes Leben der Menschen aufleuchten. Vorfreude stellt sich ein beim Gedanken an die drei dffb-Studentenfilme (1966–68), in denen das Westberlin von einst und die vertrauten Gestalten einer längst vergangenen Zeit wiederauftauchen werden.
Aber auch die Filme als Filme, in ihrer verspielt-wagemutigen, fragmentarischen Erzählweise, werden ihren Reiz nie verlieren. Sie zeugen von demselben „Lebensplan“, der für Hofmannsthals „Lord Chandos“ vorsah, nicht am Äußeren kleben zu bleiben, sondern das Stoffliche zu durchdringen, es aufzuheben und so Dichtung und Wahrheit zugleich zu schaffen. Dazu gehört auch, dass die Darsteller in ihrer Sprechweise anzeigen, was die Wahrheit ist: Sie zitieren. „Ihr bringt mich nicht um, ihr braucht mich lebend, aber ich sage nichts“, ist so ein Satz, der klingt, als sei er aus einem einschlägigen Film oder Roman entnommen.
Die Schönheiten dieses Sprechens gingen mir zuerst bei einem Lehrfilm von Bitomsky/Farocki auf, der die Entstehung, Struktur und Entwicklung der kapitalistischen Produktionsweise zum Gegenstand hatte. Es kommt vom Theater Brechts her, zeitigt in Filmen jedoch noch stärkere Wirkung, da es hier in exzentrischer Weise einen artistischen Kontrapunkt bildet zum technisch bedingten Abbildrealismus des Mediums. „Einmal wirst auch du mich lieben“ heißt ein Film über Heftromane, den Bitomsky/Farocki 1973 drehten, mit sich selbst als rauchenden Zugfahrgästen unter den Schauspielern. Von den Romanheftchen springt die Zeughauskino-Werkschau zu Heinrich von Kleists Anekdote „Beitrag zur Naturgeschichte des Menschen“, der literarischen Vorlage zu Hartmut Bitomskys „Call Girls“ (1974).
Der Gedanke des Regisseurs, dass Kleist die beiden Figuren, „Die Unverbrennliche“ und „Die Wassertrinkerin“, deshalb nicht zusammenkommen lässt, weil dann der Text eine Handlung hätte, ist so einfach wie tief; steht doch manches Schöne isoliert in der Welt, und der Geist ist es, der Verknüpfungen zu entdecken und dadurch Kunstwerke hervorzubringen hat (Goethe). In „Auf Biegen oder Brechen“ (1975), dem abendfüllenden Spielfilm, kann ein Mann seiner Vergangenheit nicht entkommen. Die Frau sagt zu ihm: „Wir führen ein Leben, das uns erpressbar macht. Alles, was wir tun, haben wir irgendwo ausgeborgt. Aber irgendwann läuft die Leihfrist ab.“ Was nicht ausgesprochen wird, aber mitgedacht werden kann: Die angeblich kürzeren Wege (der junge Mann nimmt die Identität eines Toten wegen dessen Diploms an, um beruflich weiterzukommen) haben nicht nur Einzelne, sondern auch die Menschheit immer in große Gefahr gebracht.
In seinen Filmen zur Film- und Kulturgeschichte lässt uns Hartmut Bitomsky an der Erfahrung teilhaben, wie die Magie des Stummfilms, die bezaubernde Tiefenwirkung seiner Bilder, einem rentableren Filmmaterial zum Opfer fiel. Wir trauern dem Bruchstück nach, das zu Zeiten filmischer Entdeckerfreude noch stolz für sich selbst stand, um bald darauf zum dienenden Element von Sinnzusammenhängen degradiert zu werden. „Deutschlandbilder“ (1983) und „Reichsautobahn“ (1986), die von Nazikulturfilmen handeln, widersetzen sich diesem Trend. Die Aufmerksamkeit für das, was in den Werkshallen und Büros von „Der VW-Komplex“ (1989) vor sich geht, schließt dessen Überwindung in der ästhetischen Wirklichkeit dieses Films ein, der mir Kafkas Streben nach einer Lebensansicht in Erinnerung ruft, in der das Leben zwar sein natürliches schweres Fallen und Steigen bewahre, aber gleichzeitig als ein Nichts, ein Traum, ein Schweben erkannt werde (Tagebücher, 15. 2. 1920).
Eröffnung der Retrospektive (bis 12. 9.) heute 18 Uhr, Zeughauskino mit Buchpräsentation von Frederik Lang: „Hartmut Bitomsky. Die Arbeit eines Kritikers mit Worten und Bildern“. Synema-Publikationen, Wien 2020, 302 S., 28 Euro
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