: Queere Gewerke
Erstmals hisst die Handwerkskammer die Regenbogenflagge
Von Jan Feddersen
Nein, das Wetter war wirklich nicht nur ein Nebenfaktor. Es regnet an diesem Mittwoch in Berlin aus Eimern, außerdem war es eher frisch, was ja im Juli ganz natürlich sein kann, aber an so einem Tag? Vier Dutzend Personen, sehr viel mehr Männer als Frauen kamen am Nachmittag trotz wie erwähnt deprimierendster Nässe vor dem Bildungs- und Technologiezentrum am Mehringdamm zusammen, um eine schöne Geste öffentlich zu machen: Die Handwerkskammer hisste vor einem ihrer wichtigsten Gebäude erstmals eine Regenbogenflagge, nicht nur ein Banner der Diversität, sondern vor allem – darauf kommt es an – das Symbol der LGBTI*-Bewegung.
„Somewhere Over The Rainbow“ – das war das Lied der queeren Mutterlegende Judy Garland – und die militanten Reaktionen auf polizeiliches Spitzel- und Razziengeschmutzel in der Stonewall-Bar in New York City war die Geburtsstunde der moderne LGBTI*-Bewegung: nicht mehr diskret sein, sich zeigen, den Mund aufmachen, die zugeschriebene Peinlichkeit ob des Queeren selbst in politische Courage ummünzen, darum ging es ja. Bei der Handwerkskammer so einen Akt zu erreichen – wobei sich immer sagen ließe: warum hat es so lange gedauert? –, ist ja nicht von Pappe: Alle Welt denkt ja meist, Schwule seien im Zweifel Frisöre oder Floristen, Lesben Büroangestellte oder Krankenschwestern.
Unfug, Bullshit, Klischeegewölk: Lesben und Schwule sind Handwerker:innen, man muss sie sich nur zeigen lassen – und ihnen nicht gleich aufs Maul geben wie früher. „Das Handwerk steht für Weltoffenheit, Toleranz und Gleichberechtigung“, sagte Carola Zarth, Präsidentin der Berliner Handwerkskammer – was ja irgendwie auch stimmt.
Homosexuelle, manchmal auch Trans*menschen, jedenfalls queere Personen gibt’s als Autoschrauber:innen, Zimmerleute und im Gas-Wasser-Sanitär-Bereich, sowieso bei den Elektriker:innen – auch bei Schornsteinfegern. Der berühmteste unter ihnen ist Alain Rappsilber, in Kreuzberg auf vielen Dächern, einer der wenigen nichtmittelschichtigen schwulen Männer, die sich politisch für LGBTI*-Zwecke einsetzen, ein leidenschaftlicher Mann mit Berliner Charaktereigenschaften, also mit Robustheit und Charme, einer, der weiß, wie Politisches symbolisiert werden kann, sei es beim CSD oder auch beim dieses Jahr wegen Corona ausfallenden queeren Straßenfest rund um die Motzstraße. Er sagt: „Regen hin oder her – hat Spaß gemacht.“ Es gab viel Beifall von gar nicht so vielen, auch wenn der Applaus sich beim Regen etwas dumpf anhörte – und das Banner nicht straff im Wind stehen wollte.
Selten so eine schöne kleine feine CSD-Veranstaltung miterlebt!
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