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Statt AusstellungenGib mir Raum

Wie improvisieren im Corona-Sommer? Der Projektraum Very stellt seine Räumlichkeiten für Micro-Residencies Künstler*innen zur Verfügung.

Emma Waltraud Howes nutzt den „Luxus des Raums“ während der Probe mit Justin Kennedy Foto: Christian Mang

Die Badstraße ist nicht die Schlossallee. Bei „Monopoly“ bringt sie ihren Besitzer*innen wenig ein, ist dafür aber zum Schnäppchenpreis zu haben. Eher günstig ist auch all das, was es auf der echten Badstraße im Wedding – von der das Brettspiel den Namen tatsächlich hat – so zu erwerben gibt: in den Dönerläden, den arabischen Supermärkten, den Frühstückslokalen, den Klamottengeschäften, in den Spätis und Callshops, vor denen sich zu allen Tageszeiten Menschen – umbraust vom Verkehr – aneinander vorbeischieben. Leicht könnte es passieren, dass man an der Hausnummer 66 achtlos vorbeigeht, abgelenkt durch all das, was auf den Gehsteigen und drum herum so die Sinne ablenkt.

Dabei ist das, was sich dort im Hinterhof verbirgt, auf andere Art und Weise genauso speziell wie die Badstraße an sich. Bemerkenswert ist der Projektraum Very schon rein äußerlich: Fast wie eine Bühne mutet er von weitem an, mit seiner offenen Front und dem schwarzen Boden. Früher war dort einmal eine Kutscherwerkstatt untergebracht, die Arbeitsgrube, von der aus an den Fuhrwerken geschraubt wurde, gibt es noch, wird jetzt freilich anders, quasi als unterirdische Vitrine genutzt. Lange Jahre dienten die Räumlichkeiten dem Künstler Dirk Bell als Studio.

Ganz aufgeben wollte er sie auch nicht, als er aus der Stadt zog, und tat sich stattdessen mit fünf anderen Künstler*innen und Kurator*innen zusammen, mit Silva Agostini, Mariechen Danz, Sarah Schönfeld, Nils Petersen und Anna Zett. Die sechs betreiben den Raum seitdem gemeinsam als Versuchsfeld für Ausstellungen, Performances, Lesungen, Workshops und andere Veranstaltungen, die Menschen zusammenbringt – oder wie jetzt im Covid-Sommer für sogenannte Micro-Residencies, temporäre Arbeitsräume für befreundete Künstler*innen.

„Im April, während des Lockdown, haben wir uns gefragt, was wir mit dem Raum tun sollten“, erzählt Petersen. „Ausstellungen kamen nicht mehr infrage, stattdessen wollten wir uns auf kleinere, persönliche Projekte konzentrieren.“ Schon länger hätten sie die Idee für die Micro-Residencies gehabt, auf einmal schien der richtige Zeitpunkt gekommen, was auch politisch zu verstehen ist: Wichtiger denn je erscheint es, sich in der Krise gegenseitig zu unterstützen, zum Beispiel mit Räumen, die bekanntlich schon seit Längerem für Künstler*innen kaum zu bekommen oder zu bezahlen sind.

Übersetzerin von Bewegung und Form

Nach Lilly Pfalzer und Magdalena Mitterhofer ist Anfang August Emma Waltraud Howes für drei Wochen eingezogen, nutzt den Raum, „den Luxus des Raums“, wie sie es nennt, dabei auch gemeinsam mit anderen, mit denen sie zusammenarbeitet. Künstlerisch ist Howes in verschiedenen Medien unterwegs, setzt sich dabei aber stets mit körperlichen Zuständen, mit Gesten, bezeichnet sich selbst als Übersetzerin von Bewegung und Form. Sie fertigt Skulpturen an, arbeitet aber auch performativ. Mit Justin Kennedy feilt sie momentan an der Choreografie für eine Sci-Fi-Langzeit-Oper, die die beiden gemeinsam mit Balz Isler bei der kommenden Berlin Biennale im Oktober aufführen werden.

Die Website von Very ist verwaist, Veranstaltungen werden auf Social-Media-Kanälen angekündigt, vor allem durch Mundpropaganda. Sie wollten immer natürlich wachsen, nicht unbedingt ein Riesenpublikum anlocken, heißt es, was ja aktuell sowieso eine gute Idee ist. Einerseits ist Very genau der richtige Raum für diese merkwürdige Zeit, auch allein wegen seiner Architektur – wie eine Garage, ist man dort bei offenem Tor gleichzeitig im Freien und doch vor Regen geschützt –, andererseits aber auch gerade nicht: Wie in vielen Projekträumen gibt es keine regulären Öffnungszeiten, ging es eigentlich immer um Begegnungen, direkt und analog.

Gewissermaßen sind die Micro-Residencies davon eine logische Fortführung, bei der die Begegnungen eben in kleinerem Kreis stattfinden. Für Howes jedenfalls kam das Angebot zur richtigen Zeit. Kurz zuvor erst hatte sie ihr Studio verloren und musste es in ihr Wohnzimmer verlegen. Gleichzeitig stehen ihr arbeitsintensive Wochen bevor. Morgens arbeitet sie im Rahmen einer weiteren Residency in einer Glaswerkstatt in der Nähe, an Requisiten für die Oper.

Nachmittags experimentiert sie mit Kennedy – unter den neugierigen Blicken der Weddinger Nachbarschaft. Bald werden, ebenfalls im Rahmen der Berlin Biennale, auch Workshops mit Jugendlichen aus Jugendzentren im Wedding dazukommen. Und ganz aktuell konzipiert sie noch eine weitere Arbeit, die offiziell auch für Publikum gedacht ist: Bei der Finissage der Ausstellung „Blinde Winkel“ im Kunstverein am Rosa-Luxemburg-Platz am Samstagabend ab 20 Uhr, wird Howes in Kooperation mit dem Duo CargoCult vom Fenster in Richtung Torstraße performen – für die Nachbarschaft, aber auch alle, die gezielt kommen wollen.

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