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Heimat nur bei guter Leistung

Nach dreißig Jahren in Deutschland soll eine Familie aus Peine abgeschoben werden. Der 16-jährige Sohn soll seine Ausbildungsstelle hier nicht mehr antreten dürfen. Der Flüchtlingsrat kritisiert, die Behörde argumentiere kalt und formalistisch

Von Lotta Drügemöller

Sollten Silvio M., Divna M. (Namen der Redaktion bekannt) und sechs ihrer sieben Kinder dieses Jahr nach Serbien abgeschoben werden, dann landen sie in einem Land, dessen Sprache sie nicht beherrschen. „Wir sprechen nur Deutsch und unsere Roma-Sprache“, so Silvio M. „Mit Kollegen aus Serbien kann ich mich nur auf Deutsch unterhalten.“

Dass die Familie nach 30 Jahren in Niedersachsen tatsächlich abgeschoben werden soll, befürchtet der Flüchtlingsrat, der sich in einem Brief an die Öffentlichkeit gewandt hat. Das Innenministerium hält die Familie für „vollziehbar ausreisepflichtig“, sie sei somit „gemäß § 58 AufenthG abzuschieben“.

Dabei leben Devna und Silvio M. schon seit ihrer frühen Kindheit in Deutschland, Devna M. hatte in Folge des Jugoslawienkrieges über viele Jahre einen Flüchtlingsstatus. „Meine Kinder sind hier geboren“, sagt sie. Sie spricht schleppend – vor zwei Monaten hatte die 34-Jährige einen Schlaganfall. Bis dahin arbeitete sie als Pflegehelferin, auch ihr Mann ist momentan als Pflegehelfer beschäftigt. Der 16-jährige Sohn hat einen Ausbildungsplatz als System­gastronom in Aussicht, die Ausbildung sollte schon am 1. August beginnen.

Aber: Ein Vater, der in der Mangelbranche Pflege beschäftigt ist, Kinder, die in Deutschland geboren und groß geworden sind, eine Mutter mit großen gesundheitlichen Problemen und ein Jugendlicher kurz vor Beginn seiner Ausbildung – das ist nicht die Familie, die das niedersächsische Innenministerium in erster Linie in den M.s sieht.

Die Härtefallkommission Niedersachsen hatte im Februar das Ministerium ersucht, die Abschiebung auszusetzen. Doch das Innenministerium hat anders entschieden: „Gegenwärtig liegen keine Gründe für die Aussetzung der Abschiebung vor“, heißt es. „Es kommt selten vor, dass das Votum der Härtefallkommission abgelehnt wird“, sagt dazu Sebastian Rose vom Flüchtlingsrat. Ein Sprecher der Behörde bestätigt das, eine solche Entscheidung mache sich das Innenministerium nicht leicht. Am Ende aber sei maßgeblich gewesen, dass „die Familie eine bereits im Jahr 2013 geschlossene Integrationsvereinbarung, die ihr ein Bleiberecht hier ermöglichen sollte, nur für einen kurzen Zeitraum eingehalten hat“, heißt es vom Ministeriumssprecher.

Als Bedingung wurde damals vereinbart, dass die Eltern den Lebensunterhalt selbst sichern, die Kinder die Schule besuchen und dass alle Familienmitglieder gültige Pässe vorweisen können. In vollem Umfang erreicht wurde all das nicht: Obwohl die Eltern immer wieder Jobs hatten, reichte das Geld nicht für die neunköpfige Familie. Auch die Pässe für die Kinder sind noch nicht beantragt. „Wir haben Angst, in Behörden zu gehen“, erklärt M. dazu.

Und immer wieder Grund für Ärger war der mangelnde Schulbesuch der Kinder, Fehltage haben sich angehäuft. Ein Aufenthalt für gut integrierte Heranwachsende komme für die in Deutschland geborenen Kinder laut Innenbehörde deshalb nicht in Betracht – schließlich habe keines vier erfolgreiche Schuljahre oder einen Schulabschluss vorzuweisen.

„Es ist nicht leicht für uns“, erklärt Silvio M. den Druck, unter dem er, seine Frau und die Kinder schon seit Jahren stehen. Der Streit um den Aufenthaltsstatus ist nicht neu; es sei vorgekommen, dass die ganze Familie mitten in der Nacht bei Freunden unterkommen oder im Keller schlafen mussten – aus Angst vor einer Abschiebung. Wenn seine Kinder nachts aufwachten, so M., schauten sie als Erstes auf die Straße, ob dort ein Polizeiauto stehe. Der 16-jährige Sohn leide unter Angstzuständen, Panikattacken und Schlafstörungen.

„Auf meinem Sohn liegt eine große Last“

Silvio M., seit 1986 in Deutschland

Seine Schullaufbahn lief unter diesen Umständen mehr schlecht als recht; trotzdem hat er nun einen Ausbildungsplatz als Systemgastronom bei Kochlöffel bekommen. „Auf meinem Sohn liegt eine große Last. ,Diesmal enttäusche ich dich nicht’, hat er gesagt“, erzählt M. „Er will sein Leben anpacken.“ Eigentlich sollte die Ausbildung nächste Woche bei „Kochlöffel“ in Peine starten. Aber: Der 16-Jährige darf sie nicht antreten. Eine Ausbildungsduldung gibt es für den Jungen nicht, schließlich seien, so die Behörde beim Landkreis Peine, schon konkrete Schritte zur Abschiebung eingeleitet.

Diese „konkreten Schritte“ zieht Migrationsanwalt Jan Sürig in Zweifel. „Ein Flugticket wurde jedenfalls noch nicht gebucht“, hat der Anwalt herausgefunden. „Der Begriff der ,eingeleiteten Abschiebung’wird hier völlig uferlos genutzt.“ Für Sürig ist es kein Zufall, dass die Behörde in Peine der Ausbildungsduldung nicht zustimmen wollte. „Der Landkreis gehört zu den drei oder vier Landkreisen in Niedersachsen, die bei Abschiebungen besonders negativ auffallen“, so Sürig.

Ihn stört des Weiteren, dass der Kreis nicht einmal die durch den Schlaganfall verursachten Sprachschäden der Mutter aktenkundig gemacht habe. Und schließlich argumentiert er, dass die Familie gerade auch als Roma-Familie Diskriminierung im Ausland befürchten muss – und insofern hierzulande geschützt werden müsse. „Es ist beschämend, dass Deutschland die Nachfahren der Opfer des Nationalsozialismus so behandelt“, sagt der Anwalt.

Sebastian Rose vom Flüchtlingsrat begleitet die Familie schon länger und macht sich nun große Sorgen über ihre Zukunft. Ihn stört vor allem, dass die Behörde „kalt und formalistisch“ argumentiere: Familie M. habe in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht. „Es ist nicht alles geschafft, und es gibt weiterhin besonderen Förderbedarf, das leugnet niemand“, so Rose. Mit sieben Kindern sei vieles schwerer als mit einem. „Aber nicht zu würdigen, wie viel Mühe sich Familie M. gegeben hat, wie viele Dinge verbessert wurden, das ist ungerecht.“ Statt eine Familie abzuschieben, müsse sie schlicht enger sozialpädagogisch begleitet werden. „Aktuell ist es so: Die Familie hätte schon Bleiberecht, wenn die Schulnoten passen würden. Das ist doch ein perverser Druck auf die Kinder.“

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