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Auf einen Kaffee mit der Angst

Gemeinsam am Kaffeetisch konnte das „Festival Theaterformen“ Laila Solimans Performance „Wanaset Yodit“ nicht umsetzen. Aber auch allein in der Videokonferenz mit den Protagonistinnen wirkt deren Fluchtgeschichte erschreckend

Von Jens Fischer

Eine soziale Begegnung atmosphärisch anbahnen, Interaktion ermöglichen, Erfahrungen teilen, um persönliche Aspekte zu den Themen Flucht und Migration als weibliche Empowerment-Geschichte zu vermitteln: So konzeptionierte die ägyptische Theatermacherin Laila Soliman ihr Projekt „Wanaset Yodit“. „Wanaset“ ist Arabisch und bezeichne eine Plauderrunde in aller Zwanglosigkeit und Vertrautheit, es komme von„wana“,was „die Freude bezeichnet, die man in Gesellschaft anderer Personen empfindet“, erklärt die Regisseurin.

Aber die aktuellen Kontaktverbote treffen nun gerade ihre Kunstform ins Herz, die vom Kontakt lebt und erzählt. Um die Produktion trotzdem der pandemietauglichen Sonderedition des diesjährigen Theaterformen-Festivals einzuschreiben, wurde aus dem annoncierten Kaffeekränzchen mit Geschichtenerzählen, Liedersingen, Zukunftvorhersagen und Diskutieren ein Facetime-Treffen. Statt im gemütlichen Wohnzimmer-Ambiente wird nun im leer geräumten Gartenhaus Haeckel in der Park­idylle am Staatstheater Braunschweig gespielt. Weihrauchgesättigt ist die Luft. Zu platzieren hat sich der jeweils exklusive Besucher auf einem Sitzkissen vor einem Tablet.

In Soltau anrufen soll er, wo die Odyssee zweier Frauen endete. Nun wollen sie reden. Abir Omer, in Khartum (Sudan) geborene Buchhalterin, kam im Februar 2014 über Italien, Norwegen und Schweden nach Deutschland. Sie hat drei Kinder und trifft sich täglich mit ihrer Freundin, der schon im Stücktitel als Gastgeberin des Beisammenseins erwähnten Eritreerin Yodit Akbalat. Einst war sie als Teeverkäuferin und in einem Haarsalon aktiv. Ihre Familie musste vor dem Krieg in Eritrea in den Sudan flüchten – sie selbst floh 2015 mit ihren Kindern vor den islamistischen Kämpfern über Libyen, das Mittelmeer und Italien nach Deutschland.

Die beiden Frauen sind auch Aktivistinnen gegen die in 28 afrikanischen Staaten brutal ausgeübte Tradition der weiblichen Genitalverstümmelung, knüpften ein Selbsthilfenetzwerk für Betroffene und waren mit diesem Engagement beteiligt an der letztjährigen Theaterformen-Produktion „My body belongs to me“, um auch „die Kraft und die Schönheit des Frau*seins“ zu feiern, wie es hieß.

Überbordend einladend wirken sie auch jetzt im Videotelefonat. Extra brodelt in Braunschweig auch ein Kännchen voller Kaffee vergnügt vor sich hin, damit Besucher und Performerinnen sich zumindest per Internet zuprosten können. Ein echter sudanesischer Wachmacher ist zu kosten, veredelt mit Kardamom und Ingwer plus einer Prise Zucker. Nach Art des Espresso-Minimalismus gilt es, das schwarze Heißgetränk aus einem Eierbecher zu nippen. Leckerer Kick.

Aber Wachmachen wäre gar nicht notwendig. Denn nun wird ein Video gestreamt, in dem Yodit Akbalat von ihrer Flucht berichtet – in kurzen, sachlichen Aussagesätzen, auf Arabisch mit deutschen Untertiteln. Der Tablet-Bildschirm bleibt dabei schwarz. Zu lesen ist von ihrem Mut zu einem selbstbestimmten Leben und der Unzufriedenheit mit patriarchalen Familienstrukturen. Von der politischen Situation und ihrem Alltag als Christin im muslimischen Sudan erfährt man leider nichts. So ist Akbalats Schlussfolgerung „Vor mir und hinter mir liegt der Tod“ kaum einzuschätzen. Egal.

Sie verkaufte ihr Hab und Gut und zog mit den Kindern los. Erst mal 25 Tage durch die Wüste Bi’r Tawīl, gestapelt wie Streichhölzer auf einen Geländewagen seien die Menschen mit dem Sehnsuchtsziel Europa gewesen. Wer rausfiel, sei dem Tod geweiht gewesen. Schreien verboten. Schüsse seien immer wieder durch die Luft gepeitscht. „Ich hatte also ganz schön Angst“, sagt Akbalat. „Unsere Lippen klebten zusammen vor Durst.“

Ankommen im Alltagsrassismus

Im libyschen Ajdabija warteten die Schleuser auf die Überweisung ihrer Honorare. Weiter ging es unter einer Lkw-Plane nach Tripolis. 14 Tage mussten sich die Fluchtwilligen dort verstecken, bis sie mit 650 anderen ein Schiff besteigen durften. „Von oben wurde geschossen. Wir wussten nicht, wer das war. Das waren zwei Boote voller Waffen. Wir waren umzingelt. Man brachte uns auf ein anderes Schiff.“

Und wieder an Land. Schnell sei klar gewesen: Gekapert hatte nicht die Polizei oder das Militär, sondern der selbsternannte „Islamische Staat“ (IS). „Sie fragten sofort nach unserer Religion.“ Akbalat versteckte ihr Kreuz im Schuh wie ihren christlichen Glauben in den Verhören. Um ihren Sohn vor der Zwangsrekrutierung für den IS zu retten, organisierte die Mutter eine Flucht aus dem Lager. Zurück in den Hafen. Übers Mittelmeer taumelten sie schließlich in einem winzigen Boot und wurden von der italienischen Küstenwache gerettet.

Weiter gen Norden ging es erst mal nicht. Grenzen in andere EU-Länder waren geschlossen. „Die wollen keinen Geflüchteten“, wurde Akbalat aufgeklärt. Die Italiener aber wollten sie auch nicht und daher gern nach Frankreich abschieben. Was misslang. Schläge gab es. Kaum Essen. Einen Krankenhausaufenthalt. Nach der Entlassung stieg die Eritreerin mit ihren Kindern in den ersten erreichbaren Intercity-Zug in Richtung Deutschland. Alle versteckten sich so lange auf dem Klo – bis die Münchner Polizei an die Tür klopfte. „Sie sind in Deutschland. In Sicherheit.“ Aber die Geschichte geht weiter mit ersten Erfahrung von Alltagsrassismus …

Kult der Authentizität

Diese Produktion ist keine frisch entdeckte Theaterform, sondern die x. Ausstellung von Geflüchteten als Darsteller ihrer selbst, die mit dem theatralen Kapital ihrer Mi­grationserfahrung wuchern sollen. Kult der Authentizität. Erschreckend, bewegend ist Akbalats Biografie trotz allem. Ein idealer Ausgangspunkt, um über all die dabei angerissenen Themen ins Gespräch zu kommen und etwas über ihr Leben in Soltau zu erfahren. Wie man sich wohlfühlt, aus einem Fluchtmartyrium gestrandet zu sein in einer deutsch-bürgerlichen Kleinstadt? Richtiges spannendes Dokumentartheater könnte starten, das Thesen, Einsichten und Klischees mit den Menschen konfrontiert, die hoffen, erdulden und vor allem handeln.

Aber das ist nicht möglich. Schon wartet der nächste Besucher. „Denkt daran, dass wir uns hoffentlich bald richtig treffen“, steht allerdings auf einem handgeschriebenen Zettel der beiden Neu-Soltauerinnen, der einem zum Abschied mit Kaffeepulver und Weihrauchstange geschenkt wird.

Die Präsente heben wir bis Oktober auf, denn dann bekommen Abir Omer und Yodit Akbalat am Theater Bremen die Chance, ihre Kaffee-Performance endlich live vor körperlich anwesendem Publikum präsentieren – „in coronasicherer Distanz, aber intimer Atmosphäre“, wie das Haus die Aufführungen in seinem großen Sitzungszimmer ankündigt.

„Wanaset Yodit“: Sa/So, 11./12. 7.,individuelle Sitzungen von 15 bis 21 Uhr, Braunschweig, Gartenhaus Haeckel im Theaterpark. Im Oktober wird die Performance am Theater Bremen zu sehen sein

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