Urteil gegen MenschenrechtlerInnen in der Türkei: Amnesty zur Terrorgruppe gemacht

Trotz des Freispruchs für Peter Steudtner: Das Urteil des Istanbuler Gerichts ist ein gezielter Angriff des Regimes auf unabhängiges zivilgesellschaftliches Engagement.

Porträt Idil Eser

Wurde zu einem Jahr und 13 Monaten Haft verurteilt: die ehemalige Amnesty-Geschäftsführerin Idil Eser Foto: dpa

In keinem anderen Land der Welt ist Amnesty International (AI) bislang so massiv angegriffen worden, wie am Freitagnachmittag in der Türkei. Ein türkisches Gericht in Istanbul verurteilte vier Mitarbeiter von AI zu Gefängnisstrafen, weil sie angeblich Terroristen unterstützen oder sogar, wie im Fall des Ehrenvorsitzenden Taner Kilic, selbst Mitglied in einer Terrororganisation sein sollen. Taner wurde zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt, drei weitere Personen, darunter die frühere Amnesty-Geschäftsführerin Idil Eser, zu jeweils einem Jahr und 13 Monaten Haft.

Man muss hier vielleicht noch einmal daran erinnern, was AI eigentlich ist. Das sind Menschen, die zusammenkommen, um für die Freilassung von politischen Gefangenen, die sich keinerlei Gewalttaten zuschulden kommen lassen haben, zu kämpfen. Sie stellen Öffentlichkeit her und sie schreiben Briefe an politisch Verantwortliche in denen sie um die Freilassung oder Verbesserung von Haftbedingungen für politische Gefangene bitten.

Die Verhaftung von Mitarbeitern von AI und anderen Menschenrechtsorganisationen zusammen mit zwei ausländischen Referenten im Anschluss an ein Seminar auf einer Insel bei Istanbul geschah 2017 in einer aufgeheizten Atmosphäre nach einem gescheiterten Putschversuch und während des anschließenden Ausnahmezustandes. Die Gruppe war denunziert worden, Terrorismus zu unterstützen. Ein einigermaßen objektiver Haftrichter hätte sofort sehen können, dass diese Anschuldigung Unsinn war, aber in der damaligen Situation wäre es auch für einen Richter schwierig gewesen, eine solche Anschuldigung einfach zurückzuweisen.

Das gilt jedoch nicht für eine Gerichtsverhandlung vier Jahre nach dem Putschversuch. Man darf sich nicht davon täuschen lassen, dass die beiden ausländischen Referenten, darunter der Deutsche Peter Steudtner, freigesprochen wurden; das diente nur dazu, internationalen Ärger zu vermeiden. Die Verurteilung der vier Amnesty-Mitarbeiter ist das eigentlich wichtige Signal. In der Türkei von Präsident Recep Tayyip Erdoğan werden Menschen, die gewaltlose politische Gefangene unterstützen, zu Terroristen gemacht. Das sagt alles über die derzeitige türkische Regierung.

Eine der angesehensten Menschenrechtsorganisationen weltweit wird massiv bedroht und damit de facto verboten. Nicht im Affekt nach einer dramatischen Situation, sondern ganz gezielt und kühl kalkuliert.

Der Angriff auf Amnesty International ist natürlich auch ein Signal an andere Menschenrechtsorganisationen oder zivilgesellschaftliche Vereinigungen, die sich für Umweltschutz, gegen Klimawandel oder auch für das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Ethnien oder unterschiedlichen Religionen engagieren. Kurzum, er richtet sich gegen jedes zivilgesellschaftliche Engagement außerhalb des religiösen oder parteipolitischen Rahmens, den das Regime selber setzt. Umso erstaunlicher ist es, das fast jeden Tag nach wie vor Menschen in der Türkei für demokratische Rechte kämpfen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.