Deutsche EU-Ratspräsidentschaft: Angst vor den Lobbyisten

Parlamentarier und NGOs warnen vor zu großem Einfluss der Industrie auf die deutsche EU-Präsidentschaft. Das wäre nicht das erste Mal.

Ein Mann hält im Institut für Tropenmedizin an der Uniklinik Tübingen eine Spritze in der Hand

Die Lizenzierung von pharmazeutischen Produkten Privatunternehmen zu überlassen sei riskant Foto: Christoph Schmidt/dpa

In Brüssel wächst die Besorgnis, dass sich die Bundesregierung beim deutschen EU-Vorsitz ab dem 1. Juli von Industrieinteressen und Lobbyisten leiten lassen könnte. Fast 100 EU-Abgeordnete veröffentlichten deshalb einen Appell für mehr Transparenz. Auch die Lobbyismuskritiker von LobbyControl und die NGO Corporate Europe Observatory (CEO) schlagen Alarm.

Die Coronakrise sei „eine gute Gelegenheit für Lobbyismus“, heißt es in der neuen Studie „Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft: Industrie in der Hauptrolle?“, die am Dienstag veröffentlicht wird und die der taz vorab vorlag. Nicht nur die üblichen Verdächtigen aus der Autoindustrie könnten versuchen, ihre Interessen durchzusetzen, sondern auch die Pharmabranche. Als Beispiel wird der Schutz für die deutsche Firma CureVac genannt. Es sei riskant, die Lizenzierung von Medikamenten, Impfstoffen und Medizinprodukten Privatunternehmen zu überlassen.

Berlin solle sich auch für die Möglichkeit einer Zwangslizenzierung von Impfstoffen einsetzen und Bezahlbarkeit und Verfügbarkeit von Arzneimitteln zum Thema machen, fordern die Autoren.

Sorgen machen sich die Lobbywatcher auch um die Digitalsteuer. Nach dem Ausstieg der USA aus den Bemühungen um internationale Steuersätze für Digitalkonzerne wie Apple oder Google hatte die EU-Kommission erklärt, sich zur Not auch ohne die USA für eine europaweite Digitalsteuer einzusetzen. Doch bisher stand Berlin auf der Bremse. Bundesfinanzminister Olaf Scholz habe die EU-Steuer kurz vor der Europawahl 2019 gestoppt und dabei offenbar dem Drängen des BDI nachgegeben, heißt es in der Studie. „Durch seine Ablehnung des EU-Vorschlags hat Scholz jetzt aber keinen Plan B mehr.“

Für mehr Transparenz setzen sich auch EU-Aabgeordnete aus mehreren Fraktionen ein, darunter Daniel Freund (Grüne) und Martin Schirdewan (Linke). Mit neuen Regeln und einer neuen politischen Kultur solle Berlin einer „übermäßigen und einseitigen Lobby-Einflussnahme auf die Ratspräsidentschaft vorbeugen“, heißt es in einem offenen Brief, den CEO und LobbyControl mittragen.

Berlin solle ein Zeichen setzen, indem es auf Sponsoren verzichtet. Bisher wurden Ratspräsidentschaften in der EU stets von großen Konzernen gesponsert. Die rumänische Präsidentschaft erhielt etwa Unterstützung von Coca-Cola, Finnland hatte einen Vertrag mit BMW. Die scheidende kroatische Präsidentschaft hat gar mit 16 Unternehmen Sponsoringverträge.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.