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: Vor Gericht keine Chance!

Verfassungsminister Horst Seehofer kennt die Verfassung nicht, wenn er eine Kolumnist*in anzeigt, sagt taz-Mitgründer und Anwalt Johannes Eisenberg. Überzogene Polizeigewalt aber sei Alltag in Deutschland

Johannes „Jony“

Eisenberg

Jahrgang 1955, ist taz-Gründungsmitglied und Anwalt in Berlin. Er vertritt die taz-Kolumnistin Hengameh Yaghoobifarah juristisch.

Von Johannes Eisenberg

Bundesinnenminister Horst Seehofer hat ein gestörtes Verhältnis zu Persönlichkeits- und Grundrechten: In Bremen hat er in grober Weise die Rechte der früheren Leiterin der Ortsstelle des BAMF verletzt und diese verleumden lassen. Er weiß noch nicht einmal, was er über die AfD auf der Webseite seines Ministeriums veröffentlichen darf.

Aber er weiß und tut dies lautsprecherisch kund, dass sich die taz-Autor*in Yaghoobifarah strafbar gemacht hat mit dem Artikel „All cops are berufsunfähig“. Der Mann ist Verfassungsminister, er kennt die Verfassung nicht und missachtet das Grundrecht auf Meinungsäußerungsfreiheit.

Das Bundesverfassungsgericht hat in einer Vielzahl von Entscheidungen, zuletzt am 19. Juni 2020, auf die erforderlichen Abwägungsprozesse bei der strafrechtlichen Sanktion von Meinungsäußerungen hingewiesen. In dem Fall wurde ein Anwalt durch die Instanzgerichte verurteilt, weil er über einen Behördenvertreter im Kampf um das Recht geschrieben hatte: Dessen Verhalten „sehen wir mittlerweile nur noch als offenbar persönlich bösartig, hinterhältig, amtsmissbräuchlich und insgesamt asozial uns gegenüber an“.

Das BVerfG hat die Verurteilung aufgehoben (1 BvR 362/18). Ebenso wurde ein Steuerpflichtiger verurteilt, weil er den massiv verfassungswidrige Haushalte aufstellenden heutigen SPD-Vorsitzenden als „rote Null“ bezeichnet hatte. Auch das wurde aufgehoben (1 BvR 1094/19).

Seit der grundstürzenden Entscheidung „Soldaten sind Mörder“ des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Oktober 1995 (1 BvR 1476/91) wissen wir, dass „sich bei herabsetzenden Äußerungen unter einer Sammelbezeichnung die Grenze zwischen einem Angriff auf die persönliche Ehre, die Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG (ge)schützt (ist) und die nach Art. 5 Abs. 2 GG Beschränkungen der Meinungsfreiheit rechtfertigt, und einer Kritik an sozialen Phänomenen, staatlichen oder gesellschaftlichen Einrichtungen oder sozialen Rollen und Rollenerwartungen, für die Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gerade einen Freiraum gewährleisten will, nicht scharf ziehen“ lässt und dass „einer Bestrafung wegen derartiger Äußerungen … deswegen stets die Gefahr überschießender Beschränkungen der Meinungsfreiheit innewohnt“.

Verschiedene ausländische Rechtsordnungen, namentlich des angelsächsischen Rechtskreises, kennen daher die Sammelbeleidigung gar nicht und bestrafen nur die ausdrücklich oder erkennbar auf Einzelne bezogene Ehrverletzung (vgl. etwa Robertson/Nicol, Media Law, 3. Aufl. 1992, S. 57). Das BVerfG weist zudem darauf hin, dass man eine Äußerung nie des Kontextes entkleiden darf.

Der entscheidende Satz der Autor*in, also der Kontext lautet in Bezugnahme auf die Ereignisse in den USA und den dort stattfindenden Gewalt durch Polizeibeamte: „Ich hingegen frage mich: Wenn die Polizei abgeschafft wird, der Kapitalismus jedoch nicht, in welche Branchen kann man Ex-Cops dann überhaupt noch reinlassen? Schließlich ist der Anteil an autoritären Persönlichkeiten und solchen mit Fascho-Mindset in dieser Berufsgruppe überdurchschnittlich hoch. Oder haben Sie schon mal von einem Terrornetzwerk in der Backshop-Community gehört? Ich nämlich auch nicht.“

Die Autor*in überlegt, was geschieht, wenn man die Polizei zum Schutze der Bevölkerung auflöst, wie in Minneapolis gefordert, und kommt zu dem Ergebnis, dass allein auf einer Müllhalde keine Macht mehr von den autoritären Persönlichkeiten und solchen mit Fascho-Mindset ausgeübt werden kann. Das ist ein Bild, das zweierlei beinhaltet.

Erstens: In den Augen von Seehofer und Konsorten scheinen Müllwerker eine Art Abschaum zu sein, die jede berufliche Zuordnung von Nichtmüllwerkern zu dieser Personengruppe zu einem Beleidigungstatbestand macht. Was für ein Verfassungsminister! Wir wünschen uns, dass die deutschen Müllwerker diese Haltung des Ministers Seehofer nachhaltig zur Kenntnis nehmen und sich zukünftig dessen erinnern. Es gibt vermutlich mehr wahlberechtigte Müllwerker als Polizeibeamte. Und zweitens: Es hilft nichts, Behörden aufzulösen, wenn nicht die Träger der autoritären Strukturen von anderweitiger Machtausübung ferngehalten werden.

Den Schreihälsen aus der CSU will ich einmal mitteilen, was ich von der deutschen Polizei als langjährig tätiger Strafverteidiger halte: Es gibt stetig Mandatsanfragen von Bürgern, die zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort auf Polizeibeamte getroffen sind: Sie sind – aus welchen Gründen auch immer, häufig, weil die „Autorität“ der Polizisten durch aufsässiges, aber nicht beleidigendes oder gewalttätiges Verhalten der späteren Opfer herausgefordert ist – anlasslos oder unverhältnismäßig Opfer von Polizeigewalt geworden. Weil Körperverletzung im Amt ein sehr ernstes Delikt ist, hat es damit sein Bewenden nicht.

Das Bundesverfassungsgericht weist zudem darauf hin, dass man eine Äußerung nie des Kontextes entkleiden darf

Die uniformierten Schläger generieren durch abgesprochene und verlogene Aussagen einen rechtfertigenden Anlass für die Misshandlung, nämlich eine Widerstandshandlung des Opfers. Die Justiz verfolgt die Opfer, sie haben ihre liebe Not, das Lügen- und Aussagekomplott zu decouvrieren. Gelingt es, wird es zum bedauerlichen Einzelfall verniedlicht.

In den zahllosen Fällen, in denen es nicht gelingt, etwa weil Richter eine Art Fraternisierung mit ihren „Beamtenbrüdern“, den Polizeibeamten, praktizieren, bleiben die Zusammengeschlagenen ratlos und mit Kriminalstrafe zurück. Die Seehofers und sonstigen Minister (aller Parteien, wie wir jetzt in Stuttgart erleben), hingegen nehmen die auf der Grundlage falscher Polizeiangaben entstandenen Statistiken über Gewalt ­gegen Polizeibeamte für bare Münze und als Rechtfertigung, politische Forderungen nach höheren Strafandrohungen durchzusetzen.

Kommen wir auf unseren Fall zurück: Die Autor*in entwickelt einen satirisch geformten (nicht einmal in Minneapolis wird eine Polizei ersatzlos aufgelöst werden) Gedanken auf der Grundlage der These: Auflösung von Polizeien, weil bei diesen die Anzahl der autoritären Persönlichkeiten und solchen mit Fascho-Mindset überdurchschnittlich hoch ist, ohne dass das Erwerbserfordernis der – dann – früheren Mitarbeiter der Polizeibehörden beseitigt wird, und stellt sich die Frage, ob dieser Personenkreis sodann als Lehrer etc. eingesetzt werden sollte, und verwirft diese Möglichkeit.

Wieso soll das verboten sein?