Hausmittel oder Systemwandel?

Minderheiten sind besonders häufig von Corona betroffen. Warum Vitamin D nichts damit zu tun hat und andere Faktoren wichtiger sind

Gottesdienst in einer Freikirchlichen Gemeinde in Berlin-Wedding, 2015. Nähe, Gemeinschaftsgefühl und Ausgelassenheit werden hoffentlich bald wieder möglich sein Foto: Foto:Espen Eichenhöfer/ OSTKREUZ

Von Stephanie Alvarez
und Yasmin Appelhans

Ein Hausmittel gegen Corona, das klingt verlockend und war die Hoffnung vieler Forscher*innen. Denn Vitamin D stärkt das Immunsystem. Es hilft, Erkrankungen der Atemwege zu verhindern. Eine britische Studie Anfang Mai zeigte: So einfach wird es uns Covid-19 nicht machen. Vitamin D birgt keinen Schutz vor einer Corona-Erkrankung. Und es erklärt auch nicht, warum Black and People of Colour (BPoC) sich in Großbritannien und den USA häufiger mit dem Virus infizieren, wie manche Wissenschaftler*innen vermuteten.

Wie kam es zu der Annahme? Unser Körper produziert einen Großteil des Vitamins D mithilfe von UV-Strahlen. Ist die Haut stärker pigmentiert, dringt weniger UV in den Körper. So kann er auch weniger von dem Vitamin herstellen. Bei viel Sonnenlicht ist das kein Problem, bei wenig haben deswegen gerade BPoC weniger Vitamin D im Körper. Dieses aktiviert die T-Helferzellen des Immunsystems, die auch Viren wie das neue Coronavirus abwehren. Würden BPoC mehr Vitamin D einnehmen, so die Überlegung, könnten sie sich besser schützen.

Vittal Kattikireddi von der Universität Glasgow ist mit Claire Hastie Autor der Studie und glaubt, dass Forscher*innen häufig biologische Gründe für gesundheitliche Unterschiede zwischen ethnischen Gruppen suchten: “Meistens sind es aber soziale Prozesse.“ In einer zweiten Studie fand die Forschergruppe heraus, dass die Anfälligkeit neben Alter und Vorerkrankungen auch mit Geschlecht und Einkommen zusammenhängt. Ganz erklären konnten diese Faktoren die Unterschiede in der Anfälligkeit – fachsprachlich: Vulnerabilität – nicht. Auch Aspekte wie Job oder Wohnung könnten eine Rolle spielen.

“Habe ich Zugang zum Gesundheitswesen? Das ist auch wichtig“, sagt Florence Samkange-Zeeb, Sozialepidemiologin in Bremen und Mitglied im Kompetenznetz Public Health zu Covid-19. Menschen seien nicht per se vulnerabel, sagt Samkange-Zeeb. „Wenn man Asylsuchende anders untergebracht hätte, wäre es vielleicht nicht zu den Ausbrüchen gekommen.“ Politische Entscheidungen beeinflussen die Vulnerabilität also auch.

In Deutschland gibt es bisher keine Zahlen, die belegen, dass BPoC stärker von Covid-19 betroffen sind. Das hat historische Gründe, denn im Nationalsozialismus wurden Menschen aufgrund ihrer vermeintlichen Rasse systematisch ermordet. Das erschwert es aber, die soziale Situation von BPoC unter Corona und mögliche Benachteiligungen zu erfassen. Menschen mit Migrationshintergrund könnten dem Coronavirus in Deutschland stärker ausgeliefert sein, weil sie häufiger in prekären Jobs stecken und beengter leben.

Dass Covid-19 soziale Ungleichheiten sichtbar macht, sieht Florence Samkange-Zeeb auch als Chance, die Probleme zu adressieren. Klar ist, dass viele Maßnahmen nötig sein werden: mehr Daten zu Ethnie und sozialem Status, bessere Wohnverhältnisse und Zugang zur Gesundheitsversorgung, faire Arbeitsbedingungen, Reformen im Asylrecht. Zeit für einen Systemwandel.