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Bei Kaufhofs zu Haus

Ines Reinhard hat mehr als ihr halbes Leben im Warenhaus in der Hamburger Mönckebergstraße 3 gearbeitet. Geplant hatte sie das nicht, aber sie ist doch geblieben. Nun soll die Filiale schließen

Ines Reinhard: Gibt ihre Filiale nicht kampflos her Foto: Marinus Reuter

Aus Hamburg Marinus Reuter

Für Ines Reinhards Großmutter war die Karriere ihrer Enkelin klar. „Meine Oma hat immer gedacht: ein Jahr Parfümerie, ein Jahr Schmuck, ein Jahr Klamotten und zum Schluss Geschäftsleitung“, erzählt Reinhard. Es kam fast so. Als sie 1999 bei Kaufhof ihre Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau begann, gehörte das Unternehmen noch zum Metro-Konzern. „Das war das Jahr, in dem die Kollegen von Horten hier herüber versetzt wurden, aufgrund einer Betriebsschließung“, sagt Reinhard. Auf einem Gruppenfoto aus dem Jahr mit den Kolleginnen der hauseigenen Parfümerie steht Reinhard in der zweiten Reihe. Sie hat einen weißen Kittel mit grünem Firmen-Emblem an, trägt die blonden Haare zurückgebunden. Da ist sie 18 Jahre alt. 21 Jahre später arbeitet sie noch immer in der Mönckebergstraße Nummer 3. Doch bald soll hier Schluss sein.

Die Filiale unweit des Hamburger Hauptbahnhofs gehört zu den fast 60 Häusern, die der insolvente Konzern Galeria Karstadt Kaufhof schließen will. „An uns wird nicht mehr geglaubt von Seiten der Unternehmensleitung, es ist jetzt der Vermieter, der an uns glauben muss und die Stadt Hamburg.“ Reinhard sagt, was alle denken: Der Laden laufe im Grunde und eine Schließung sei nicht nötig. „Im Januar waren wir auf einem guten Weg und die Umsätze wuchsen langsam wieder an.“ Dann kam Corona.

Reinhard ist in Ramelsloh in der niedersächsischen Gemeinde Seevetal aufgewachsen, ihre Mutter hat lange bei Edeka gearbeitet. Ihre eigene Zukunft sah Reinhard aber eigentlich nicht im Einzelhandel. „Ich hatte mir fest vorgenommen, nach drei Jahren Ausbildung wieder zu gehen“, sagt Reinhard. „Doch die Kolleginnen haben mich so herzlich in die Familie aufgenommen, dass ich mir gesagt habe: Da will ich bleiben.“ Dafür hat sie ihre Pläne aufgegeben, nach der Ausbildung etwas Gestalterisches zu studieren. „Ich dachte, ich muss kreativ sein, tsss.“ Sie hält inne, hängt ein „So!“ an. Das Kapitel scheint abgeschlossen.

Von dieser Betriebskultur in der Mönckebergstraße 3, die alle verbindet, die die Hälfte des Jobs ausmacht, erzählt nicht nur Reinhard. „Sie ist am Ende doch aus demselben Grund geblieben, wie wir alle“, sagt Tanja Coldewey, die auch auf dem Foto von 1999 ist. In der Parfümerie-Abteilung war Coldewey damals für die sechs Jahre jüngere Reinhard Patin in der Ausbildung.

„Wir sind da immer wieder hingepusht worden, auch von oben, dass wir eine Familien sind“, sagt Reinhard, die den Aufstiegsauftrag ihrer Großmutter nicht ganz erfüllt hat, aber mit der Geschäftsleitung fast auf Augenhöhe ist, seit sie im Oktober 2016 den Vorsitz im Betriebsrat übernommen hat. „Zumindest, solange Lovro Mandac noch da oben saß.“

„Die Kolleginnen haben mich so herzlich in die Familie aufgenommen, dass ich mir gesagt habe: Da will ich bleiben“

Ines Reinhard, Betriebsratsvorsitzende

Mandac galt als der gute Kapitalist vom Rhein, der 20 Jahre bis 2014 an der Spitze des Unternehmens Kaufhof Gewinne mit sozialem Gewissen zu verbinden schien. 2004, zum 125-jährigen Firmenjubiläum, ließ er seine rund 20.000 Angestellten aus ganz Deutschland mit Bussen ins Stadion des 1. FC Köln bringen, wo ihnen Bundeskanzler Gerhard Schröder eine Rede hielt und Nena ein Ständchen sang. Die Hamburger kamen mit roten T-Shirts, auf dem der Name ihrer Stadt in fetten weißen Lettern prangte.

Ines Reinhard mag ihre Arbeit nicht nur, sie verteidigt auch das Prinzip Warenhaus. „Es gibt Einkaufszentren, da hat man dann einen Laden von einer Marke und noch einen von einer anderen, aber ich habe nicht mehr die Vielfalt der verschiedenen Hersteller“, sagt sie. Niedrige Preise und billige Qualität wären nicht, was im stationären Handel abgefragt werde, zumindest nicht von ihren Kunden, deren Altersschnitt bei 50 Jahren liege. Denen ginge es um Beratung und eine Vertrauensbeziehung, wofür sie auch bezahlen mögen.

Als Reinhard damals ein Verkaufs­team in der Mode-Abteilung leitete, lag hier der Fokus. „Man hatte Zeit für Gespräche und hat rausgehört, was der Kunde eigentlich noch so in seinem Kopf hatte“, sagt sie. Dann habe ein schleichender Prozess eingesetzt, mit Rabattschlachten und stromlinienförmigem Sortiment. „Ich behaupte, dass diese Maßnahmen für schlechte Umsätze gesorgt haben“, sagt Reinhard. Das war noch vor den letzten Eigentümerwechseln.

Seitdem mehren sich Risse in der beschworenen Kaufhof-Familie, es ist eben doch ein Unternehmen. Die denkmalgeschützte Fassade des historischen Klöpperhauses, in dem die Filiale von Ines Reinhard seit 1965 ihren Sitz hat, zeugt irgendwie auch von diesen Rissen: Sie bröckelt, ist sanierungsbedürftig. Kostenpunkt: 4 bis 4,5 Millionen Euro. Reinhard, die Betriebsrätin, meint: „Da hätte man längst was machen müssen.“ Laut Mietvertrag mit dem Stuttgarter Eigentümer Württembergische Versicherungen fallen Sanierungskosten dem Mieter zu, die Geschäftsleitung habe nicht vorgesorgt. „Hätten wir mit den Instandsetzungskosten nichts zu tun, hätten wir vermutlich eine Miete, die wir uns nicht leisten könnten.“ Damit geht es um eine politische Frage, die sich an die Stadt Hamburg richtet: Wie hoch darf die Miete für den stationären Handel sein?

Reinhard und ihre Kollegen wollen ihre Filiale nicht kampflos hergeben. Am Freitag vergangener Woche, auf einer Protestkundgebung, ist Reinhard in schwarzen Turnschuhen, Funktionskleidung und Smiley-Socken da. Mal steht sie dicht bei ihren Kollegen, mal spricht sie einige Worte mit Funktionsträgern aus Politik und Gewerkschaft. Die Jahre, in denen sie jeden Morgen auf die Verkaufsfläche getreten ist, um Kunden anzusprechen, merkt man ihr an. Tanja Coldewey steht Zigarillo-rauchend dabei, ihre Mutter im Schlepptau, und findet Reinhard „sehr empathisch“.

Sie wollen ihre Jobs behalten: Angestellte der Filiale in der Mönckebergstraße Foto: Markus Scholz/dpa

Einen Tag zuvor war die Nachricht aus der Essener Konzernzentrale vom Ende der Verhandlung mit den Vermietern ganz frisch. „Ich habe das Gefühl, dass man die Vermieter nicht so aktiv angesprochen hat, um die Filiale zu erhalten, sondern sich eher gesagt hat: Was ist günstiger? Schließen? Okay, will ich dann auch“, sagt Reinhard. Den Verdacht, dass die Corona-bedingten Umsatzeinbußen Anlass sind, sich einiger Standorte zu entledigen, um das Geschäft auf Kosten der Beschäftigten zu konsolidieren, wird sie nicht los.

Das wird am Ende auch sie treffen, ihren Sohn und ihren Mann. Mehr als ihr halbes Leben hat Ines Reinhard in der Filiale in der Mönckebergstraße 3 „Kunden zum Strahlen“ gebracht, wie sie sagt. Das will sie bis zuletzt machen. Und sich um ihre rund 200 Kollegen kümmern, um am 31. Oktober, wenn nicht noch ein Wunder geschieht, mit „stolzem Haupt“ durch die Tür gehen zu können. „Dann kann ich sagen, ich habe hier mein Bestes gegeben.“

Unterdessen schrumpft die Streichliste des Konzerns Stück für Stück zusammen. Auch in Hamburg. Seit Freitag ist klar: Die Kaufhof-Filiale im Alstertal-Einkaufszentrum bleibt nun doch erhalten. Auf so ein Wunder hofft auch Ines Reinhard für ihre Filiale.

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