taz-Sommerserie: „Sommer vorm Balkon“: Ein botanisches Labor

Der Botanische Volkspark in Pankow war einst ein Schulgarten. Jetzt soll er wieder ein Ort für Umweltbildung werden.

Die Tropenhäuser im Volkspark sollen einmal ein Lehrgarten für tropische Nutzpflanzen werden Foto: Christian Mang

BERLIN taz | Am Nordrand der Stadt, kurz vor dem Tegeler Fließ und der Stadtrandsiedlung Blankenfelde, liegt ein grünes Kleinod, das vielen BerlinerInnen nicht mal dem Namen nach bekannt dürfte: der Botanische Volkspark.

An einem sonnigen Vormittag steht die Parkleiterin Isabel Keil vor einem Übersichtsschild beim Haupteingang und erklärt die orthogonale Struktur des 34 Hektar großen Parks: Mit der rechten Hand fährt sie die gezeichnete Hauptachse entlang, von der im rechten Winkel Wege abgehen. „Im 19. Jahrhundert waren das Rieselfelder. Aber weil wir hier auf einer riesigen Tonlinse sitzen, floss das Wasser nicht gut ab“, beginnt die studierte Architektin und leidenschaftliche Landschaftsgärtnerin. Nach zehn Jahren habe man das Projekt daher beendet.

Anfang des 20. Jahrhunderts, fährt Keil fort, entwarf Berlins Gartendirektor Albert Brodersen dann diesen Park – für die Schulgärten aus Wedding. „Die mussten weg, weil dort die AEG-Hallen gebaut wurden. Alles wurde umgesiedelt: die alten Gewächshäuser und die Geologische Wand, die heute das älteste Element in diesem Park ist, ein Riesenschatz, von dem nur wenige wissen.“

Dann geht es los auf dem mit Staudenrabatten gesäumten Hauptweg in Richtung Gewächshäuser, und Keil erzählt weiter. „Damals wurde auch ein Parkwald angelegt, ein künstlicher Wald mit den Pflanzengesellschaften der Mark Brandenburg, also vielen Buchen und Eichen. Sie haben sogar die Krautschichten aus der Mark hierher gebracht. Alles wegen der Bildungsidee!“ Denn dies, so Keil, war von Beginn an der Zweck des Schulgartens: die Stadtkinder in Sachen Natur und Landwirtschaft zu bilden. „Sie hatten hier alles: tropische Pflanzen in den Gewächshäusern, sie haben Gemüse und Blumen pikiert, Kartoffeln gepflanzt, über Landwirtschaft gelernt.“ Zu diesem Ursprung möchte Keil zurückkehren: Der Park soll ein zentraler Bildungsstandort für Kinder werden.

Hier gibt es Schätze zu bergen

Aber woher der Name? Die Humboldt-Uni, die den Park Mitte der 70er Jahren übernahm, erzählt Keil, wollte – wie ihr Pendant in Westberlin – einen eigenen Botanischen Garten haben. Die Botaniker legten ein Arboretum an, eine Sammlung von Gehölzen, „der kleine Bruder vom Späth’schen Arboretum“ am Baumschulenweg, so Keil. „Auch so ein Schatz, den wir noch richtig aufwerten möchten.“ Und sie begannen in den alten Gewächshäusern Forschung zu betreiben. Nach der Wende wurde diese allerdings eingestellt beziehungsweise nach Dahlem zum großen Westbruder umgezogen. „Zum Glück wurde all das hier unter Denkmalschutz gestellt, die Struktur ist ja noch so vorhanden wie früher. Seitdem ist es eine öffentliche Grünanlage.“

Berlin ist großartig – auch und gerade im Sommer. Als Berlin-Redaktion wissen wir das natürlich. Und weil Zuhausebleiben in Coronazeiten ohnehin angesagt ist, machen wir da doch gern mal mit. Denn abseits der ausgetrampelten Touristenpfade und abseits der Pfade, die man selbst im Alltag geht, gibt es in dieser Stadt immer noch genug zu entdecken, sodass selbst Ureinwohner beeindruckt sind. Hoffen wir zumindest.

In loser Folge begeben wir uns in den nächsten Wochen auf Erkundungen, Stippvisiten und Spaziergänge. Nachlesen, was bereits erschienen ist, kann man unter taz.de/sommer-vorm-Balkon. Nächste Folge: Auf dem Wuhleweg (akl)

Die Gewächshäuser wurden 2010 komplett saniert und sehen wie neu aus. Allerdings gibt es nicht allzu viele Pflanzen darin. Im Mittelhaus der Schaugewächshäuser hat seit zehn Jahren ein Café Platz gefunden, das an den Wochenenden geöffnet hat. „Es ist schön hier“, findet Keil, „allerdings fehlen hier noch mehr interessante Pflanzen.“

Für ihren neuen Bildungsstandort möchte sie in den Gewächshäusern eine Sammlung von tropischen Nutzpflanzen anlegen. Ein paar gibt es schon: eine Bananenstaude, einen Kakaobaum, Tamarinde, Mandel, Papaya. Andere sucht Keil noch. „Ich möchte gern eine Ölpalme haben, aber die sind schwierig zu finden.“ Für die Palme hat sie Kontakte bis nach Miami/Florida geknüpft, bisher ohne Ergebnis.

Eine Besonderheit aus DDR-Zeiten gibt es noch im Kakteenhaus: die „Königin der Nacht“, eine kakteenartige Schlingplanze, deren Blüten nur in der Nacht aufgehen – und jede Blüte nur für eine Nacht. Normalerweise machen Keil und ihre Leute im Sommer um die Pflanze eine Abend-Nacht-Veranstaltung, damit die Menschen die Königin bewundern können, die nach Vanille riecht, wie Keil schwärmt. Dieses Jahr kam Corona dazwischen.

Partner wie der „Weltacker“

Auf dem Weg von den Gewächshäusern zur Geologischen Wand dreht sich das Gespräch weiter um die Bildungsidee. Keil erzählt: „Wir haben heute natürlich andere Probleme als vor hundert Jahren. Damals war es wichtig, die Kinder an die Natur heranzuführen. Das müssen wir heute zwar auch, viele Kinder und Erwachsene haben kaum noch Naturkontakt. Aber wir müssen auch über Dinge wie Bodenschutz und Ernährung reden. Oder über Klimaschutz: Was wird aus unseren Kulturpflanzen? Wie werden wir Tiere halten? All diese Themen wollen wir hier künftig abbilden.“

Keil bleibt stehen, zeigt den Weg hinunter, wo der Wald beginnt. „Von hier aus, der alten Hauptachse des Parks, konnte man früher genau auf den Kirchturm von Rosenthal schauen. Heute wird er von den Bäumen verdeckt.“ Auf dem ersten Stück des Hauptwegs, erklärt sie, wurde der Park eher repräsentativ gestaltet – mit Rabatten, breiten Wegen, den Gewächshäusern –, „weiter hinten wird es immer natürlicher mit Wiesen, Teichen, Obstalleen.“

All dies zu pflegen und weiterzuentwickeln ist nicht einfach für Keil, die seit zehn Jahren im Park arbeitet und ihn seit 2016 leitet. Betreiberin des Parks ist die Grün Berlin GmbH, eine landeseigene Gesellschaft, die verschiedene Parks managt, etwa das Tempelhofer Feld und den Gleisdreieckpark. Für die Grundpflege beschäftigt Keil zehn MitarbeiterInnen einer Behindertenwerkstatt, die spezielle Pflege der tropischen Pflanzen und Rabatten macht eine private Gärtnerei, mit der die Chefin sehr zufrieden ist: „Die beiden Gärtner sind in England ausgebildet und Spezialisten für Stauden und Tropenpflanzen. Das ist Goldstandard, was sie hier machen.“ Darum hat Keil schon jetzt ein bisschen Angst, sie zu verlieren, denn alle vier Jahre endet der Vertrag und wird neu ausgeschrieben – natürlich mit ungewissem Ausgang.

Für alles andere, was Keil mit dem Park vorhat, auch ihr Bildungsprojekt, muss sie externe Partner finden. „Ohne die würde hier nicht viel laufen.“ Die Partner müssen nur eine Voraussetzung erfüllen: ökologische Bewirtschaftung.

Parkleiterin Isabel Keil Foto: Christian Mang

Drei-Felder-Wirtschaft zum Angucken

Ein privater Imker zum Beispiel betreibt im Park „wesensgemäße Bienenhaltung“ und gibt dazu Kurse für Interessierte. Im „Bauerngarten“ bietet der gelernte Biobauer Max von Grafenstein Samen, Jungpflanzen und Hilfe an für BerlinerInnen, die von ihm ein Tortenstück pachten und ihr Gemüse selbst ernten. Es gibt den „Weltacker“, ein Bildungsprojekt der Zukunftsstiftung Landwirtschaft, das 2017 bei der IGA in Marzahn begann und exemplarisch zeigt, was man auf 2.000 Quadratmetern anbauen kann – diese Fläche steht rechnerisch jedem Menschen auf der Welt zur Verfügung. „Sie machen sehr viel Bildungsarbeit, die wir gar nicht bezahlen könnten“, sagt Keil. Das ist der Deal: Keil gibt das Land, die Partner geben den Inhalt.

An manchen Stellen ist der Botanische Volkspark auch fast ein Urwald Foto: Christian Mang

So läuft es auch bei der „richtigen“ Dreifelderwirtschaft im Park, die ebenfalls der „Bauerngärtner“ Grafenstein übernommen hat. „Damit möchten wir zeigen, wie Landwirtschaft geht, ohne dass der Boden leidet. Auf jedem Feld pflanzen wir in einem Jahr Getreide, im nächsten Feldfrüchte oder Ölfrüchte, im dritten lassen wir es brachliegen beziehungsweise machen eine Gründüngung“, erklärt Keil. Was bitte ist Gründüngung? „Das sind spezielle Pflanzen, die dem Boden neue Nährstoffe geben. Wir pflanzen hier eine Mischung namens Landsberger Gemenge, die zugleich als Winterfutter den Schafe dient.“

Die Schafe sind natürlich auch ein Partnerprojekt, der Schäfer kommt aus dem nahen Blankenfelde. Keil: „Die Schafe sind ihm regelmäßig abgehauen und haben die Blankenfelder Chaussee blockiert. Deswegen haben wir gedacht, hier ist es sicherer, wir haben Zäune. Außerdem fanden wir es gut, unsere Wiesenpflege zu erweitern, gemäht werden muss ja auch. So haben wir dem Schäfer unsere Wiesen angeboten.“

Auf den Feldern haben sie dieses Jahr Kürbis und Sonnenblumen gepflanzt, wenn Erntezeit ist, kann jeder kommen und etwas mitnehmen. Kartoffeln gibt es – anders als sonst – nicht, weil die GärtnerInnen zu lange in Quarantäne waren und so die Pflanzen nicht häufeln konnten.

An der Wand fehlt die Lausitz

Berliner Idyll: Wasserhuhn-Küken schlürft Entengrütze Foto: Christian Mang

Angekommen an der 30 Meter langen Geologischen Wand gibt sich Keil bescheiden. Sie könne zu deren Bedeutung nur „nachplappern“, was ihr „unser Partner“ erzählt habe – in diesem Fall die Bundesanstalt für Geologie und Rohstoffe. „Die Wand ist eine Gesteinssammlung, an der man die geologische Entwicklung verschiedener Regionen Mitteleuropas seit dem Holozän ablesen kann.“ Sie zeigt auf eine Kaltschicht, wo man mit Fantasie ein paar Ammoniten sehen kann. „Jede Schicht spricht für eine Zeit“, erklärt sie und weist auf Muschelkalk, eisenhaltiges rotes Gestein und eine Stelle, wo das Gestein eine „Falte“ darstellt, wie sie durch vulkanische Verwerfungen entstehen.

„Beim Umzug von Wedding hierher ist übrigens die Lausitz verloren gegangen“, lacht Keil. Ersetzt wurde es durch Sandstein aus dem Elbsandsteingebirge. „Aber eigentlich fehlt uns die Lausitz“, sagt sie, nun wieder ernst. „Wir versuchen jemanden zu finden, der uns eine neue finanzieren könnte.“ Aber auch so ist die Geologische Wand sichtlich eine Besonderheit – und seit 2018 als solche anerkannt: Da wurde sie in die Liste der Nationalen Geotope, der bedeutendsten Geotope Deutschlands, aufgenommen.

Weiter geht es Richtung Norden, vorbei an Wiesen, einem Karpfenteich, auf einen kleinen Wald zu. Dem Weg quer durch einen Bach können wir nicht folgen, weil sich in der Nähe eine Wasserhühnerfamilie an Entengrütze labt, sodass wir rücksichtsvoll einen Umweg machen. Der Bach, erklärt Keil, „ist ein stilles Gewässer, Teil eines Grabensystems aus der Berieselungszeit“ – ebenso wie der Karpfenteich – und verbindet zwei Teiche. Weil er kaum Fließgeschwindigkeit hat, bildet sich die Entengrütze. Auf dem Weg Richtung Dammwildgehege Obstalleen, zurück reden wir über die Zukunft.

Für die Entwicklung der Gewächshäuser, erklärt Keil, brauchen sie noch ein „richtiges Konzept“. Letztes Jahr haben sie von Landschaftsarchitekten einen Entwurf erstellen lassen, wie der Standort für Umweltbildung entwickelt werden könnte. Der Bezirk Pankow hat schon zugestimmt, sagt Keil, jetzt braucht es noch Gutachten zu Verkehrsverbindungen, Denkmalschutz. „Ich hoffe, dass wir in einem Jahr weiter sind.“ Ob ihr Traum eines Tages wahr wird, wagt sie noch nicht zu prophezeien. „Dieser Park ist meine Lebensaufgabe.“

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