: Eine Epoche stand vor Gericht
Das Zeughauskino begleitet die Hannah-Arendt-Ausstellung im DHM mit der Reihe „Hannah Arendt und der Eichmann-Prozess“, darunter der erste Nachkriegsdokumentarfilm von Alain Resnais über die Vernichtungslager
Von Robert Mießner
Sie habe über Eichmann gelacht, sagt Hannah Arendt im Interview mit Günter Gaus. Die jüdische Politologin und Publizistin war im Herbst 1964 als erste Frau zu Gast in der Fernsehsendereihe „Zur Person“, in die der Journalist von 1963 bis 2004 einlud. 1964, der Prozess gegen den Cheforganisator des Holocaust, SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann, hatte drei Jahre zuvor in Tel Aviv mit dem Todesurteil geendet, meint Arendt: „Sehen Sie, es gibt Leute, die nehmen mir eine Sache übel, und das kann ich gewissermaßen verstehen: Nämlich, dass ich da noch lachen kann. Aber ich war wirklich der Meinung, dass der Eichmann ein Hanswurst ist, und ich sage Ihnen: Ich habe sein Polizeiverhör, 3.600 Seiten, gelesen und sehr genau gelesen, und ich weiß nicht, wie oft ich gelacht habe; aber laut!“
Eichmann hatte sich vor Gericht darauf berufen, Befehlsempfänger gewesen zu sein. Dass er im argentinischen Exil, in das Eichmann nach dem Weltkrieg mit klerikaler Hilfe gelangt war, für sich die Rolle eines mitdenkenden Idealisten reklamierte, wusste Arendt – ihr war es mit dem Selbstvertrauen der letzten Minute gelungen, den Nazis über Paris nach New York zu entkommen – nicht. Dennoch ist Arendts Reportage über den Eichmann-Prozess einer ihrer bekanntesten Texte. „Eichmann in Jerusalem“, zuerst in The New Yorker publiziert, erschien darauf in Buchform. Arendt begründet darin ihre bekannte These von der „Banalität des Bösen“.
Ihr Gespräch mit Günter Gaus ist jetzt Programmpunkt einer Filmretrospektive, mit der das Zeughauskino die aktuelle Ausstellung „Hannah Arendt und das 20. Jahrhundert“ im Deutschen Historischen Museum begleitet. An diesem Wochenende werden zwei historische Produktionen des deutschen Fernsehens zu sehen sein und von Kurator Götz Lachwitz vorgestellt: „Auf den Spuren des Henkers. Adolf Eichmann – Sein Leben in Dokumenten“ läuft am Freitag; der Film von Joachim Besser und Peter Schier-Gribowsky ist eine bis jetzt nur im Fernsehen gelaufene Montage, die Eichmanns Leben mit der Entwicklung des Nationalsozialismus verschränkt. Einige der Materialien, die das Filmteam bei seiner Recherche gefunden hatte, konnten vor Gericht als Beweismittel eingesetzt werden.
Auch erstmals wieder vor größerem Publikum zu sehen ist am Sonnabend ein Sonderbericht des deutschen Fernsehens, das im Keller des Jerusalemer King Hotel ein provisorisches Studio eingerichtet hatte: „Eine Epoche vor Gericht“. Den Titel sollte man sich merken. Adolf Eichmann, Schreibtischtäter aus und mit Überzeugung, war nicht allein.
Hannah Arendt erinnert sich gegenüber Günter Gaus an das, was vorher geschah. Sie habe bereits 1931 angenommen, dass die Nazis an die Macht gelangen würden. Und dann: „Das Problem, das persönliche Problem war doch nicht etwa, was unsere Feinde taten, sondern was unsere Freunde taten. Was damals in der Welle von Gleichschaltung, die ja ziemlich freiwillig war, jedenfalls noch nicht unter dem Druck des Terrors, vorging: Das war, als ob sich ein leerer Raum um einen bildete. Ich lebte in einem intellektuellen Milieu, ich kannte aber auch andere Menschen. Und ich konnte feststellen, dass unter den Intellektuellen die Gleichschaltung sozusagen die Regel war. Aber unter den anderen nicht. Und das hab ich nie vergessen.“
Intellektualität allein ist herzlich wenig, und zur Banalität gehört das Bedürfnis nach Höhenflug. Arendt weiter: „Aber dass es im Wesen dieser ganzen Sachen liegt, dass man sich sozusagen zu jeder Sache etwas einfallen lassen kann, das sehe ich immer noch so. Sehen Sie, dass jemand sich gleichschaltete, weil er für Frau und Kind zu sorgen hatte, das hat nie ein Mensch übel genommen. Das Schlimme war doch, dass die dann wirklich daran glaubten! Für kurze Zeit, manche für sehr kurze Zeit. Aber das heißt doch: Zu Hitler fiel ihnen was ein; und zum Teil ungeheuer interessante Dinge! Ganz fantastische und interessante und komplizierte! Und hoch über dem gewöhnlichen Niveau schwebende Dinge!“ Hannah Arendts und Günter Gaus’ Interview läuft am 30. Juli in Kombination mit einem Gespräch zwischen der Journalistin und politischen Korrespondentin der taz, Bettina Gaus, und der Kuratorin Kristina Jaspers.
Am 4. August dann „Nacht und Nebel“ von Alain Resnais, der erste Nachkriegsdokumentarfilm über die Vernichtungslager. Resnais hatte den Film 1955 mit dem Schriftsteller, Widerstandskämpfer und KZ-Überlebenden Jean Cayrol gedreht; die deutsche Fassung übernahm Paul Celan, die Musik schrieb Hanns Eisler. „Nacht und Nebel“ wurde 1956 als französischer Beitrag zu den Filmfestspielen von Cannes nominiert und dann wieder vom Auswahlkomitee gestrichen. Vorausgegangen war von deutscher Seite die Intervention, der gewöhnliche Zuschauer sei nicht in der Lage, zwischen Nazis und Wirtschaftswunderdeutschen zu unterscheiden. Ein Akt der Volkspädagogik, gegen den Schriftsteller wie Alfred Andersch, Heinrich Böll und Eugen Kogon protestierten; der Film selbst lief in überfüllten Häusern.
In Jerusalem ist „Nacht und Nebel“ in den Zeugenstand gerufen worden; dem Angeklagten Eichmann wurde der Film am Vorabend der Verhandlung vorgeführt. In einer Szene ist zu sehen, mit welchem Respekt die Nazis einem Baum begegnen. Es ist die Goethe-Eiche von Buchenwald.
Noch bis 6. 8., Zeughauskino
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