piwik no script img

Berlin, Wien, Lemberg, Sibiu

Von Berlin aus kann man mit dem Zug gut zu vielen Zielen im Osten reisen – sogar schlafend. Ein paar Vorschläge mit aufsteigendem Schwierigkeitsgrad

Von Marco Zschieck

Lange Warteschlangen, wenig Platz und eine miserable Umweltbilanz – Urlaubsreisen mit dem Flugzeug haben viele Nachteile. Aber es gibt ja Alternativen per Bahn. Im Zug gibt es mehr Bewegungsfreiheit und keine Flugscham. Und von Berlin aus kann man – sofern keine pandemiebedingten Einschränkungen dazwischenkommen – viele Ziele in Mittel-, Ost- und Südosteuropa ansteuern. Das ist meist recht preisgünstig und oft gar nicht umständlich.

Natürlich kann man den Schwierigkeitsgrad auch erhöhen. Wer Beratung wünscht, kann sie in Berlin in der Bahnagentur Schöneberg in der Crellestraße bekommen. Gründer Peter Koller kennt sich bestens aus und hat sogar einen Reiseführer über die Ukraine geschrieben. Sehr einfach und schnell geht es von Berlin nach Warschau. „In Polen ist in den letzten Jahren viel passiert“, sagt Koller. Es gab Investitionen in Wagenpark und Infrastruktur.

Im Normalfall – also ohne Corona – fährt viermal am Tag der „Warschau-Express“ von Berlin ab. Aktuell steht zumindest ab 17. Juni täglich ein Zug in der Reiseauskunft. In rund sechs Stunden kommt man direkt in die polnische Hauptstadt. Die ist an sich schon eine Reise wert, eignet sich aber auch als Etappenziel auf dem Weg in die Ukraine, für deren Besuch EU-Bürger kein Visum, sondern nur einen Reisepass benötigen. Von Warschau fährt – im Normalfall – täglich am späten Nachmittag ein Nachtzug Richtung Kiew.

„Auf der Strecke sind noch ältere Waggons unterwegs“, sagt Koller. Die werden mitten in der Nacht in einer riesigen Werkhalle einzeln angehoben, um die Fahrwerke auf die breitere osteuropäische Spur umzurüsten. Wahrscheinlich ist man da aber ohnehin schon wach, weil kurz vorher Grenzbeamte die Pässe kontrollieren. Je nachdem wie viel Pause man sich in Warschau gönnt, kann der Dnipro also per Zug in einem Tag und einer Nacht erreicht werden.

Kiew ist eine moderne Metropole, die ihre sowjetische Prägung mehr und mehr verliert. Es gibt noch viele Gründerzeithäuser zu sehen – und eine lebendige Kunst- und Musikszene. Viele jüngere Menschen verstehen Englisch, dennoch ist es ganz hilfreich, wenn man zumindest die kyrillischen Buchstaben lesen kann. Vom Krieg im Osten des Landes bekommt man im Alltag kaum etwas mit, es gibt auch keine Reisewarnung für die Ukraine außerhalb der Konfliktzone.

Innerhalb des Landes gibt es von Kyjiw, wie es auf Ukrainisch heißt, zu allen anderen Großstädten tagsüber Verbindungen mit dem Intercity. Die modernen Züge aus südkoreanischer Produktion fahren auf den Hauptstrecken 160 Kilometer pro Stunde. Langsamer fahren die Nachtzüge, die aber unter anderem wegen des noch niedrigeren Fahrpreises beliebt sind. Wer die Nacht zumindest in einem 4er-Abteil verbringen will, sollte als Kategorie „Kupe“ wählen. Hinter „Platskartna“ verbirgt sich ein offener Schlafsaal auf Rädern, in dem man von den Mitreisenden alles mitbekommt.

Wer sich beim Ticketkauf den Dialog am Schalter ersparen will, kann sich die App der Staatsbahn herunterladen. Ein anderer Weg in die Ukraine beginnt abends in Berlin. Die Nachtzüge der österreichischen Bahn (ÖBB) Richtung Wien und Budapest führen nämlich auch Kurswagen nach Przemysl mit. Die Stadt liegt im Südosten Polens kurz vor der Grenze zur Ukraine. Dort kommt der Zug um 8 Uhr morgens an.

Weiter geht es gegen 13 Uhr mit dem ukrainischen Intercity Richtung Kyjiw, das der Schnellzug am späten Abend erreicht. Die Züge werden in der Fahrplanauskunft der ukrainischen Bahn inzwischen wieder angezeigt, allerdings kann man derzeit keine Tickets kaufen, weil die Grenze noch geschlossen ist.

Wenn sie wieder geöffnet wird, lohnt es sich auch, nach gut 100 Kilometern in Lwiw (Lemberg) auszusteigen. Die alte Hauptstadt Galiziens hat viel Geschichte, einen komplett erhaltenen historischen Stadtkern und eine immer bessere Infrastruktur. Derzeit wird etwa die bisher ziemlich klapprige Straßenbahn vom Bahnhof in die Altstadt saniert. „Das Unterkunftsangebot ist gut und die Gastronomie großartig“, sagt Koller. Und bis zur Gebirgskette der Karpaten ist es auch nicht weit.

Weiter südlich ist Budapest der Knotenpunkt für Reisen auf den Balkan. Aus Berlin erreicht man die ungarische Hauptstadt am bequemsten umsteigefrei mit einem Nachtzug der Österreichischen Bahn (ÖBB), die vor ein paar Jahren auch die Nachtzüge der Deutschen Bahn übernommen hat und das Angebot seither ausbaut.

Die Tour nach Sofia ist nichts für Eilige: In zwei Nächten und zwei Tagen kommt man gut 1.700 Kilometer voran

Bis zur Coronakrise fuhren die Züge täglich um 18.45 Uhr von Berlin über Wroclaw in Polen und Ostrava in Tschechien. Ein Zugteil steuerte Budapest an, ein anderer Wien. Während die Nachtzüge nach Wien ab dem 28. Juni wieder angeboten werden, gibt es für die Direktfahrt nach Budapest noch keine Auskunft. Üblicherweise kamen die Züge dort etwa um 8.30 Uhr an.

Von Budapest gibt es normalerweise viele Verbindungen nach Rumänien. „Allerdings ist der internationale Zugverkehr noch unterbrochen“, so Koller. Am bequemsten geht es per Nachtexpress Richtung Bukarest. Die Waggons sind relativ modern und erreichen die rumänische Hauptstadt gegen Mittag. Ohne Pandemie und geschlossene Grenzen sind es mit dem Zug also zwei Nächte und ein Tag von Berlin nach Bukarest mit einem einzigen Zugwechsel. Die Stadt erinnert mit ihren breiten Boulevards an Paris oder Madrid und besitzt ein großes Kneipenviertel im Zentrum sowie einige architektonische Zeugnisse der Gigantomanie des früheren Diktators Ceausescu. Es bietet sich allerdings auch an, vorher in Sibiu, dem früheren Hermannstadt, aus dem Zug aus Budapest auszusteigen.

Die alte Handelsstadt in Siebenbürgen war vor einigen Jahren Kulturhauptstadt Europas und zieht seither mehr und mehr ausländische Touristen an. Sibiu eignet sich auch als Ausgangspunkt für Wandertouren in die südlichen Karpaten. „Der Fagaras-Höhenweg führt über 70 Kilometer an bis zu 2.500 Meter hohen Gipfeln vorbei, teilweise mit Klettersteigcharakter“, sagt Koller.

Ähnlich interessant wie Sibiu ist Brasov etwa 150 Kilometer weiter östlich im Karpatenbogen. Nicht weit entfernt in Bran befindet sich eine der Burgen, in denen das historische Vorbild für Graf Dracula (Vlad, der Pfähler) gelebt haben soll.

Fährt man innerhalb Rumäniens mehrfach mit dem Zug, lohnt sich die App der Staatsbahn, die es auch auf Englisch gibt. Auch Umbuchungen sind damit möglich. Wer nach vielen Ebenen und Gebirgen das Meer sehen will, kann von Bukarest aus mehrmals täglich in rund zweieinhalb Stunden Constanța am Schwarzen Meer erreichen. Gleich neben der historischen Altstadt der rund 2.800 Jahre alten griechischen Gründung beginnen kilometerlange Sandstrände.

Wer mehr Herausforderungen mag, kann sich auf die Reise Richtung Bulgarien begeben. Die Route entspricht der des legendären „Orient-Express“. Ausgangspunkt ist Budapest. Unter normalen Umständen fährt täglich am späten Abend ein Nachtzug nach Belgrad, der auch Schlafwagen mitführt.

Wer sich traut, die Tickets ohne Hilfe online auf der Seite der ungarischen Bahn zu kaufen, sollte sich vergewissern, dass auch wirklich der Schlafwagen reserviert wird. Die Webseite gibt es zwar auch auf Deutsch, allerdings recht holprig übersetzt. Dank zahlreicher Zwischenstopps braucht der Zug für die etwa 400 Kilometer rund acht Stunden. Man hat also Zeit zu schlafen. Derzeit wird die Verbindung allerdings weder in der deutschen noch in der ungarischen Fahrplanauskunft angezeigt.

Von Budapest gibt es aber Alternativen per Bus – die sind dann auch schneller. Am Morgen erwartet die Reisenden in der serbischen Hauptstadt einer der hässlichsten Bahnhöfe Europas: Beograd Centar. An dem Betonungetüm wird seit den 70er Jahren gebaut – er ist sozusagen Serbiens BER. Fertig ist der Bahnhof immer noch nicht, aber seit 2018 in Betrieb.

Und damit es nicht zu leicht wird, fährt der Zug nach Sofia von einem anderen Bahnhof ab. Der Bahnhof Topcider ist nur wenige Kilometer von Beograd Centar entfernt und deutlich kleiner – bietet aber den früheren Wartesaal des jugoslawischen Königshauses und Titos. Von dort sind es mit dem Schnellzug rund elf Stunden nach Sofia. Der Zug wird ab dem 23. Juni wieder täglich um 9.15 Uhr angeboten.

Landschaftlich ist besonders die zweite Hälfte der ­Strecke mit Aussichten auf schroffe Gipfel des Balkangebirges interessant. Die Tour nach Sofia ist also nichts für eilige Menschen: In zwei Nächten und zwei Tagen kommt man gut 1.700 Kilometer voran, überquert sechs Grenzen und lernt in Sofia die dritte Währung nach dem ungarischen Forint und dem serbischen Dinar kennen.

Als Belohnung warten eine sehr vielfältige Küche, mindestens 5.000 Jahre Geschichte und ein Hochgebirge am Stadtrand.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen