corona in bremen: „Bildung braucht persönlichen Kontakt“
Interview Dominika Vetter
taz: Herr Köcher, „mitdenken, aufklären, informieren“ sind laut Internetseite Ihre Aufgaben. Worüber muss derzeit besonders aufgeklärt werden?
Thomas Köcher: Besonders aktuell ist das Thema Verschwörungstheorien und welche Interessen die Menschen haben, die diese Theorien in Umlauf bringen. Dazu gehört auch die Frage, wie Meinungsbildung stattfindet.
Welche Gefahr stellen Verschwörungstheorien für die Demokratie dar?
Ein große, weil wir feststellen, dass sie über viele Kanäle verbreitet werden. Menschen befinden sich in Blasen, nehmen nur bestimmte Informationen war und machen sie sich zu eigen. Das ist eine Gefahr, weil viele der Verschwörungstheorien einen antisemitischen Hintergrund haben. Es ist schwierig, dagegen zu argumentieren und ins Gespräch zu kommen. Wir sollten aber gerade im eigenen Umfeld hinhorchen, wenn über Corona gesprochen wird.
Kann politische Bildung helfen, Verschwörungstheorien zu erkennen?
Ja, unsere Aufgabe ist es, die Urteilsfähigkeit zu stärken. Und auch die Menschen zu erreichen, die Positionen durcheinanderbringen, die nicht zusammengehören. Das ist eine Herausforderung und gerade besonders schwer zu erfüllen, weil viele Formate nicht stattfinden können –auf der anderen Seite ist es notwendiger denn je, das ist die Krux! Es fehlt an Austragungsorten für den politischen Diskurs. Die Verlagerung in die sozialen Netzwerke birgt die Gefahr, dass in Blasen diskutiert wird. Bildung braucht persönlichen Kontakt, man muss Fragen stellen können. Diese Bildungsmomente fehlen in digitalen Bereichen oft.
Ist Ihr Online-Angebot niedrigschwellig genug?
Wir kriegen positive Rückmeldungen, wir experimentieren aber noch. Vor Corona waren wir im digitalen Bereich nicht so gut aufgestellt und merken, dass wir dieser Entwicklung folgen müssen. Wir müssen uns aber darüber klar sein, dass das Ausweichen ins Digitale Mechanismen der sozialen Ausgrenzung verstärkt: Nicht jeder ist in der Lage, digitale Angebote wahrzunehmen.
Was ist die „Publikationsausgabe“?
Unser Herzstück: Eine Art Buchladen, in dem man umsonst Infomaterial bekommt. Wir öffnen seit Kurzem wieder zwei mal die Woche für alle. Besonders gefragt sind aktuell Informationen zu Verschwörungstheorien und Antisemitismus. Viele beschäftigt die Frage, wie sie reagieren sollen, wenn ihnen diese Denkmuster begegnen.
Wie soll man denn reagieren?
Auf keinen Fall weg- oder überhören, sondern nachfragen, was genau gemeint ist. Nach Quellen fragen und auf andere, seriöse Medienquellen verweisen. Was ich immer wichtig finde: Stellung beziehen und deutlich machen, dass auch die Meinungsfreiheit Grenzen hat, die durch das Grundgesetz definiert werden.
Antisemitische Verschwörungsmythen in Corona-Zeiten, Online-Vortrag von Patrick Gensing, Livestream auf landeszentrale-bremen.de, in Kooperation mit der Amadeo-Antonio-Stiftung und der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, heute, 25. 5., 19.30 Uhr.
Die Publikationsausgabe öffnet dienstags und donnerstags, 13-17 Uhr, Landeszentrale, Birkenstr. 20-21
Lesen gegen das Patriarchat
Auf taz.de finden Sie eine unabhängige, progressive Stimme – frei zugänglich, ermöglicht von unserer Community. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen