Mein Kriegsende 1945: „Ich dachte ja, sie leben noch“

Zeitzeugen erinnern sich (Teil 17): Hanita Rodney überlebte, weil ihre Eltern sie per Kindertransport nach England geschickt hatten.

Hanita Rodney

Hanita Rodney Foto: privat

Hanita Rodney, Jahrgang 1930, wanderte 1949 nach Israel aus. Sie arbeitete für die Womens International Zionist Organization (Wizo), heiratete und bekam vier Kinder. Sie lebt in Kfar Saba:

„Dumm, dass ich keine langen Haare habe, die jetzt im Wind wirbeln können“, dachte ich, hinten auf der Ladefläche eines Lastwagens, kurz nachdem ich und die anderen Kindern erfahren hatten, dass Dachau und Theresienstadt befreit worden waren. Ich war fünfzehn Jahre alt, und wir sangen zionistische Lieder. Wir waren auf Hachschara, so nennt man die Ausbildung für ein künftiges Leben in Israel. Ich war unsagbar froh, meinen Bruder und meine Eltern bald wiedersehen zu dürfen. Damals dachte ich ja, dass sie noch leben.

Dass ich in England auf diesem Lastwagen saß, hängt wohl mit meiner Entführung zusammen. Denn sonst hätte mein Vater niemals verstanden, dass uns in Berlin etwas zustoßen würde.

Eines Tages kam eine Gruppe von Jungen in brauner Kleidung, Hitlerjungen. Sie schlugen mir mit einer Eisenstange auf den Kopf und warfen mich in einen Keller. Zwei Wochen lang missbrauchten sie mich. Jeden Morgen kam eine Frau, in einer Hand hielt sie eine Schüssel Suppe, in der anderen Seifenwasser. Sie wusch mich und fütterte mich. „Hol mich hier raus“, beschwor ich sie. „Wenn ich das tue, sterben wir beide“, antwortete sie.

Doch eines Tages sagte sie: „Montag­morgen wird dein Bruder dort oben stehen, lauf hin zu ihm.“ Am Montagmorgen öffnete mein Bruder die Klapptür zum Keller. „Lies“, rief er: „Komm!“ „Ich kann mich nicht bewegen.“ „Du musst!“, rief er. Mit aller Kraft kam ich zu ihm und er zog mich hinauf. Als wir zu Hause ankamen, war Mutter wie erstarrt, Vater saß auf einem Stuhl und stand nicht auf. Dann bin ich ohnmächtig geworden.

Das Nächste, was in meiner Erinnerung geschah, ist, dass mein Vater mir ein neues Kleid aus teurem, warmem Stoff gab und mir einen Koffer in die Hand legte. Dann gab er mir einen Klaps auf den Hintern und sagte: „Nu komm schon.“ Ich erinnere mich genau an diese Worte. Wir gingen zum Bahnhof, wo schon viele andere Kinder standen. „Nun geh schon zu den Kindern“, sagte er dann noch. Es war ein Kindertransport nach England. Ich sah meinen Vater nie wieder.“

Aufgezeichnet von Judith Poppe.

Zuletzt erschienen:

(16) Leon Schwarzbaum, KZ-Häftling

(15) Edith Kiesewetter, vertrieben

(14) Jan Slomp, untergetaucht

(13) Helga Müller, ausgebomt

(12) Valerija Skrinjar-Tvrz, Partisanin

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.