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Im Corona-Biedermeier

Foto: Fritz Engel/Zenit

Auf Socken durch die Wohnung schlurfen oder barfuß, nie aber in Lackschuhen. Die obere Körperhälfte ein wenig zurechtgebürstet für die erste Zoom-Konferenz, und dann ist schon Zeit für ein kleines Mittagessen, vielleicht Reste vom Vorabend oder ein Sandwich vom immer gleichen Bäcker um die Ecke, bei dem man auch gleich den Kuchen für den Nachmittagskaffee kauft. Vor dem Mittagessen noch die Masken in die Kochwäsche, damit man später für den Spaziergang und den Einkauf gerüstet ist. Mittagsschläfchen. Danach Rezepte sichten für das Abendessen, mit den Vorräten in Kühlschrank und Kammer abgleichen. Dann arbeiten im Arbeitszimmer bis zur Kaffeepause um vier. Kaffee und Konversation. Gegen 17 Uhr: Feierabend, finales Papiergeraschel. Schon Zeit für den täglichen Spaziergang, immer der gleiche Park, immer die gleiche Strecke, immer ist Krähwinkel am Sonntagnachmittag, mitten in Berlin. Das Wildeste: den immer gleichen Dealer freundlich grüßen, der vergeblich am Parkeingang auf einen wartet. Im Supermarkt den Einkaufskorb desinfizieren und einkaufen. Eine Flasche Rotwein aussuchen, die leicht über dem angemessenen Budget liegt. Man gönnt sich ja sonst nichts in diesen Zeiten. Um 19 Uhr Klavierkonzert auf Twitter, wieder alle auf Strümpfen. Dann Abendessen mit Ser­vietten und Kerzenlicht. Die Reste für morgen Mittag verpacken. Dann Nachrichten: die täglichen Infektionszahlen, die Zahl der Genesenen, die Zahl der Verstorbenen. Die Medizinal-, Geheim- und Hofräte, die Pandemie- und Krisenstäbe werden es schon richten. Der Rest: nichts als streamen. Kurz vor dem Einschlafen noch einmal hochschrecken: Hände gewaschen? Sicherheitsabstand eingehalten? Das Leben von gestern ist schon so lange nicht mehr wahr. Bald mal wieder Lackschuhe? Hoffentlich. Martin Reichert

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