Funktionär über neue Wettbewerbsformen: „Unter Druck glänzen“

Der deutsche Leichtathletik-Funktionär Cheick-Idriss Gonschinska spricht über kreative Ideen in der Krise. Er hält Online-Wettbewerbe für möglich.

Sprinterinnen springen über Hürden

So viel menschliche Nähe wie bei den deutschen Hallenmeisterschaften muss nicht unbedingt sein Foto: Jens Büttner/dpa

taz: Herr Cheick-Idriss Gonschinska, wie kommen eigentlich in der Leichtathletik derzeit die Athleten mit der Situation klar?

Cheick-Idriss Gonschinska: Durch die Kontaktsperren musste zuletzt per Video gecoacht werden, es war viel Improvisation nötig. Es ist im Moment wichtig, dass wir im Hier und Jetzt leben, mit den jeweils aktuellen Verordnungen. Für die Kaderathleten hat das Training an den Stützpunkten schrittweise wieder eingeleitet werden können. Wir sind in der Abstimmung, wie das in der nächsten Phase für das Vereinstraining erweitert werden kann. Und wir streben eine „late season“, eine verspätete Saison im Spätsommer und Herbst an.

Ohne Zuschauer?

Wir arbeiten an Konzepten, eine Deutsche Meisterschaft ohne Zuschauer umzusetzen. Es ist wichtig für Athleten und Trainer, dass wir eine Aussicht auf Wettbewerbe und Herausforderungen kreieren. Bis hin zu der Idee, dass man das über virtuelle Einzelduelle an verschiedenen Standorten gestaltet. Wettkampfnahe Trainingsformen und Wettbewerbe sind wichtig, um sich fit zu halten. Das kann man nicht allein mit Athletik-Training.

Die Sechsmeter-Stabhochspringer Armand Duplantis aus Schweden, Renaud Lavillenie aus Frankreich und Sam Kendricks aus den USA flirten bereits öffentlich mit der Idee der digitalen Fern-Vergleiche. Ist das vorstellbar?

Ich will jetzt noch nicht im Detail über die Ideen unserer Innovativ-Abteilung reden. Aber natürlich ist es so, dass die Digitalisierung in der aktuellen Situation rasant vorangeht. Wir orientieren uns an Gaming-Situationen und überlegen, was wir für Herausforderungen schaffen können. Insofern kann ich mir das durchaus vorstellen. Wir haben ja ohnehin ein technisiertes Trainingssystem. Es werden schon jetzt Daten von Tests und Videos in den Clouds der Trainerteams ausgetauscht. Wir haben das nur bislang nicht öffentlich positioniert.

Das könnte sich nun ändern?

Ja. Wenn wir eine Community teilhaben lassen, wird es vielleicht noch mehr zu einer Challenge. Da können sich kreative Möglichkeiten und Chancen ergeben. Aber zuallererst ist diese Pandemie eine sehr herausfordernde Situation, die man kaum in Worte fassen kann.

Viele Athleten gehen erstaunlich positiv damit um und sehen die Möglichkeit, an Dingen zu arbeiten, die sonst zu kurz kommen. Bietet sich hier eine Chance für neue Impulse?

Mit gewohnten Mustern zu brechen, ist immer auch eine Chance für die Entwicklung neuer Qualitäten. Es fällt mir natürlich schwer, zu sagen, dass eine weltweite Pandemie auch etwas Positives mit sich bringen könnte. Aber unsere Top-Athleten zeichnet aus, dass sie schwierige Situationen annehmen können, dass sie gewohnt sind, mit Rückschlägen umzugehen.

Der ehemalige Zehnkampf-Olympiazweite Frank Busemann hat prophezeit, dass es 2021 bei vielen Leichtathleten durch das aktuell verstärkte Athletiktraining eine Leistungsexplosion geben werde.

Ich bin Sportwissenschaftler und möchte diese individuelle Meinung nicht bewerten. Prognosen sollten validiert sein, und dies ist im Zusammenhang mit möglichen Leistungstrends für das folgende Jahr kaum möglich. Ich kann mir aber gut vorstellen, dass die Entschleunigung eines hektischen Alltags, das Nutzen neuer Trainingsreize, das Arbeiten an Stärken und Schwächen ohne zeitlichen Druck – dass das durchaus neue Qualitäten eröffnen kann. Ich kann mir aber auch vorstellen, dass Athleten in ein Loch fallen, wenn ein Traum platzt.

Leistungssportler sind Menschen, die den Wettkampf brauchen, die große Bühne. Wie lange werden sie es verkraften, wenn das alles fehlt?

Sie müssen die Krise annehmen und das Beste daraus machen. Wer das jetzt schafft, wird auch derjenige sein, der sich bei den Wettkämpfen, die irgendwann wieder kommen werden, durchsetzen kann. Shining under pressure ist das Stichwort, unter Druck glänzen.

Viel diskutiert wird die Dopingfrage. Es kann nicht so kontrolliert werden wie zuvor. Es gibt Befürchtungen, dass jetzt munter gedopt wird. Bereitet Ihnen das Sorgen?

Das hat natürlich Auswirkungen auf das Anti-Doping-System, es kann aktuell nicht in der gewohnten Form umgesetzt werden. Das ist ein Fakt, den wir kritisch einordnen, aber zur Kenntnis nehmen müssen.

Wie erleben Sie die Diskussion um Geisterspiele im Fußball? Steht einer Sportart eine solche Sonderrolle zu?

Ich habe großen Respekt vor allen Sportarten und den Entwicklungen, die sie realisiert haben. Natürlich stellt sich die Frage, inwieweit entsprechende Konzepte mit behördlichen Vorgaben vereinbar sind. Aber wenn es im Fußball möglich wird, wird es auch Transfereffekte für andere Sportarten geben. Auch wir hoffen ja auf eine späte Saison. Geisterspiele im Fußball wären vielleicht eine Möglichkeit für uns, daraus zu lernen und Dinge zu adaptieren.

Da kommt kein Neid auf?

Ich möchte nicht zwischen den Sportarten werten und urteilen. Die heutige Zeit sollte uns nachdenklich machen und eher das Miteinander in den Mittelpunkt stellen. Das ist eine weltweite Krise, die Menschen und somit auch Sportarten und Sportler verbinden und nicht gegeneinander aufbringen sollte.

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