: Geschnipseltes
Ganz unkonventionell erst mal die alten Ordnungen zerschneiden: Teil fünf der Serie „Da ist ja noch die Kunst“
Von Thomas Mauch
Da ist die Ordnung doch einigermaßen durcheinandergeraten hier in diesem Bild, da ist alles anders, als man das bis dahin ansonsten von der Kunst vor Augen geführt bekam.
Aber das da ist eben Dada. Und Dada heißt, erst mal Zweifel an allem zu hegen und den gängigen Idealen und Normen ganz bestimmt nicht zu genügen. Stattdessen sollen die Dinge auf den Kopf gestellt werden und die Logik gleich mit; lieber mit dem Unsinn spielen, als Sinn zu suchen. Alles anders machen. Dada, nicht zufällig gegen Ende des Ersten Weltkriegs in Bewegung gekommen, ist schon das Trotzköpfchen unter den Kunstrichtungen. Kunst sollte das auch gar nicht sein, sondern Antikunst. Und wo man sonst bis dahin brav mit Pinsel und Stift arbeitete, griff man bei Dada zur Schere. Eine Waffe, mit der gleich die Konventionen zerschnitten werden konnten und die Dinge neu arrangiert. Die Collage, das Kennzeichen von Dada.
Schrittmacherin dieser Entwicklung der Fotomontage war Hannah Höch (1889–1978), einzige Frau unter den Berliner Dadaisten. Gern als die Hausheilige der Berlinischen Galerie wird sie bezeichnet, wo neben etlichen Werken der Künstlerin auch ihre „Dada-Rundschau“ zu sehen ist. Also wieder zu sehen sein wird, weil natürlich auch das Landesmuseum für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur noch geschlossen hat. Wieder einmal. Schließlich musste das von Schließungen gebeutelte Haus an der Alten Jakobstraße erst vergangenes Jahr mehrere Wochen die Türen zumachen, damals wegen unklaren statischen Problemen am Dach. Bis zur neuerlichen Wiedereröffnung wird eben auf der Homepage dazu eingeladen, das Museum mit den digitalen Angeboten von zu Hause aus zu erkunden. Ein virtueller Rundgang durch die aktuelle Schau mit den Arbeiten des Fotografen Umbo lässt sich so absolvieren oder ein Durchlauf durch die Dauerausstellung mit Thomas Köhler, dem Direktor der Berlinischen Galerie, der gerade im Rahmen des Programms „Der rbb macht Museum“ entstanden ist. Bis Montag noch findet auch das Berlin Video Art Festival in der Berlinischen Galerie statt mit 15 Arbeiten von zehn internationalen KünstlerInnen, die jeweils von 20 bis 2 Uhr auf der Website der Berlinischen Galerie gestreamt werden können.
Für ihre 1919 entstandene „Dada-Rundschau“ hatte sich Hannah Höch der Berliner Illustrierten Zeitung bedient: ausgeschnittener Textbrocken und Fotofragmenten mit Gesichtern, die den Zeitgenossen nicht erst erklärt werden mussten. In der Bildmitte der frisch gewählte Reichspräsident Friedrich Ebert, daneben der Reichswehrminister Gustav Noske, beide in Badehosen. Noske steht in einer Dada-Wolke und Ebert in Stiefeln, was möglicherweise auf seine Rolle bei der Niederschlagung des Spartakusaufstands durch Regierungstruppen Anfang 1919 verweist. Über den beiden schwebt friedensengelgleich und großköpfig der US-Präsident Woodrow Wilson. Das Chaos der damaligen Zeit, neu choreografiert.
Vom 4. Mai an dürfen die Museen im Berlin wieder öffnen – doch das wird nur langsam geschehen. „Es ist nicht trivial, ein Museum wieder aufzumachen“, sagte der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Hermann Parzinger, der Deutschen Presse-Agentur. „Es bedarf umfangreicher Maßnahmen, um Hygiene zu gewährleisten und Ansteckung zu vermeiden.“ Zudem kündigte er an: „Es wird auch in den Museen eine Maskenpflicht für alle geben zum Schutz von Besuchern, Aufsichten und Mitarbeitern.“ Hinzu komme das Problem der neuen Distanzregeln. Nach den Worten Parzingers werden nur einige wenige Museen öffnen, Schritt für Schritt. „Wir denken, dass wir im Laufe der ersten Maihälfte, spätestens bis Mitte Mai das eine oder andere Haus öffnen können.“ (dpa)
Wobei aus heutiger Perspektive das Bild mit der durcheinandergeratenen Ordnung so unordentlich gar nicht wirkt. Eigentlich sogar ganz aufgeräumt. Das Zerschneiden und Neuzusammenpuzzeln von Dada – man hat sich längst darin eingesehen.
Die Botschaft von Dada heißt halt auch: Aus Anti wird Konvention, aus dem Scherenschnitt die neue Ordnung, aus der Fratze was Gefälliges. Einfach, weil man sich an alles gewöhnt, irgendwann.
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