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Viel Platz im Bus

Offene Läden: Die Stadtbussein Tübingen fahren wieder häufiger, doch der Ansturm bleibt vorläufig überschaubar

Die sechs Arbeiter auf der Baustelle zwischen dem Bahnhofsgebäude und dem Busbahnhof im schwäbischen Tübingen schwitzen. Sie baggern und brechen den Asphalt auf. Die Buslinie 17 dagegen hat leichte Fahrt – kein Fahrgast, die 11 immerhin einen, die 13 drei. Auch die Bahnsteige sind leer. Nur wenn ein Zug ankommt, sind kurz zwei Hände voll Passagiere am Gleis. Die Stadtidylle mit Neckar, schmucken Fachwerkhäusern und anmutiger Stiftskirche gibt’s am Montagvormittag nur mit wenigen Nutzer*innen des öffentlichen Nahverkehrs, auch wenn die Läden wieder geöffnet sind, das Uni-Semester losgeht – online – und tatsächlich wieder mehr Busse unterwegs sind.

Deutschlandweit fahren seit Wochen Busse und Bahnen wegen der Coronakrise mit abgespeckten Fahrplänen. Die Busse des Stadtverkehrs Tübingen haben am Montag auf den Ferienfahrplan aufgestockt. Davor galt der Samstagsfahrplan. Auch der Verkehrsverbund Stuttgart fährt das Angebot Schritt für Schritt wieder hoch. So fahren die S-Bahnen zu rund 80 Prozent des Gesamtverkehrs und auch die Straßenbahnen rasseln wieder häufiger durch die Straßen. Ähnliches gilt für Busse und Bahnen in Frankfurt am Main. In Berlin und München gibt es keine Änderungen – aber dort sind die Läden ja auch noch nicht offen. In der Hauptstadt fahren unverändert 13 Prozent weniger Züge. Die U-Bahn und Tram in München fährt mit 90 bis 95 Prozent des Regelfahrplans. In Dresden bleibt es bei 80 Prozent. Der Fernverkehr der Deutschen Bahn wird zu 75 Prozent bedient – bei nur 15 Prozent Fahrgästen, verglichen mit Vor-Corona-Zeiten.

„Heute sieht es voller aus als letzte Woche“, sagt Fahrgast Alexander Bok mit Blick auf den Bahnsteig. Auch wenn er zunächst zur Arbeit muss, freut er sich, dass die Läden offen sind: „Brauche Jeans, Krawatte und Hemden“, sagt der Banker, der in Tübingen arbeitet. Die Medizinstudentin Leonie Zerweck ist am Montag erstmals mit dem Zug zur Arbeit ins Tübinger Krankenhaus gefahren. Bisher hat sie wegen der zusammengestrichenen Fahrpläne das Auto genommen. IT-Expertin Marion Hartenstein ist zum Klinikum unterwegs. Zum Schutz trägt sie eine Maske – sie ist eine von wenigen. Viele Züge sind so leer, dass es nicht weiter gefährlich scheint, unmaskiert unterwegs zu sein. Nur die Regionalbahn, die Zerweck, Bok und Hartenstein mit Herrenberg und Tübingen verbindet, ist recht voll. In den Vierersitzgruppen sitzen bis zu drei Leute. An den Türen halten die Aussteigenden die 1,5 Meter nicht ein – jeder will schnell hinaus.

Die Bahnhofshalle von Tübingen ist leer. Eine Putzkraft wischt verlassen die Fliesen, eine Taube stakst umher. Am Bäcker kauft sich ein Passant eine Nussschnecke. „Heute ist etwas mehr los als letzte Woche. Aber ohne Corona ist die Schlange morgens ab fünf Uhr lang“, sagt die Verkäuferin. Der Kiosk hat offen, aber kaum Kundschaft. Der Blumenladen und das DB-Reisezentrum sind geschlossen. Nur ein Obdachloser schläft auf einer der Sitzbänke davor.

An Gleis eins küsst sich ein Paar, bevor die Frau in den Zug steigt. Im ersten Wagen sitzen drei Menschen, im hinteren etwa zehn, allerdings nicht gut verteilt. Aus einem Zug am Gleis 3 steigt Torben Martin: „Ich muss meinen Uni-Stempel erneuern“, berichtet der Student. Kommt ein Zug an, ist kurzes Getrappel auf den Treppen vom Gleis herunter zu vernehmen. „Langsam kommt das Leben wieder in die Gänge. Hier am Bahnhof ist wieder mehr los. Sonst war ich ganz alleine am Bahnsteig“, sagt ein Lokführer.

Ähnliches Bild am Busbahnhof: „In einem großen Bus zur Klinik waren heute Morgen maximal 15 Leute, normalerweise sind es 180“, berichtet ein Fahrer. Ein anderer findet: „Bin seit vier Uhr unterwegs. Heute war bisschen mehr los im Bus als letzte Woche, auch mehr Autos sind unterwegs. Man merkt, dass mehr Leute wieder arbeiten.“ Ruhig ist es allemal.

Auch Delayne Kießling wartet alleine auf einen Bus: „Ich arbeite ab heute wieder im Einzelhandel. Wieder ein bisschen Alltag“, freut sie sich. Dass mehr Menschen zur Arbeit fahren, merkt auch eine wartende Taxifahrerin. Eine alte Dame an Bussteig H erzählt: „Vor lauter Schauen, dass der Mundschutz richtig sitzt, habe ich meine Handtasche im Bus vergessen.“ Die Tasche hat sie wieder bekommen.

Mareike Andert

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