Kiew beschliesst Bodenreform: Schlupflöcher für Nichtukrainer

Das Parlament hat das Verbot des Verkaufs von Agrarflächen aufgehoben. Kritiker fürchten eine Konzentration von Land in den Händen weniger.

Präsident Wolodymyr Selenskyj im Parlament.

Die Landreform ist durch: Präsident Selenskyj im Parlament in Kiew Foto: ap

KIEW taz | Der Ukraine steht vor einer Bodenreform. Am Dienstag hob das Parlament das Verbot des Verkaufs landwirtschaftlicher Nutzflächen auf. Dass die seit Jahren geplante Reform just in Zeiten der Corona-Krise, in der alle Demonstrationen verboten sind, durchs Parlament geboxt wurde, zeigt, wie umstritten sie auch in der Regierungspartei „Diener des Volkes“ ist.

Bei der Abstimmung waren die „Diener des Volkes“, die mit 251 Abgeordneten von insgesamt 450 Sitzen eigentlich über eine bequeme Mehrheit verfügen, auf die Stimmen der Poroschenko-Partei „Europäische Solidarität“ und der patriotischen „Golos“ angewiesen.

Zuvor hatte Kristalina Georgiewa, Chefin des Internationalen Währungsfonds IWF, erklärt, die Verabschiedung der Landreform sei eine Voraussetzung für neue Kredite an die Ukraine.

Mit dem Ende der Sowjetunion hatten alle Republiken der früheren UdSSR große Teile des Staatseigentums verkauft. Ausgenommen von diesen Verkäufen waren in der Ukraine Privatwohnungen und landwirtschaftliche Nutzflächen. Wer auf landwirtschaftlichen Nutzflächen arbeitete, erhielt damals einen Teil des Bodens geschenkt. Per Gesetz hat außerdem jeder Bürger der Ukraine Anrecht auf 2,28 Hektar Boden.

Leichtes Spiel für die Agroindustrie und Strohmänner

Es geht um viel: von 42,7 Millionen Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche, so der ukrainische Dienst von BBC, sind 31,1 Millionen in privaten Händen, also etwa drei Viertel. In Kraft treten wird die Bodenreform erst am 1. Juli 2021. Und dann dürfen nur Ukrainer Land erwerben, maximal 100 Hektar pro Person.

Ukrainische Firmen kommen erst 2024 zum Zug, dürfen dann bis zu 10.000 Hektar erwerben. Das Gesetz sieht zudem ein Vorkaufsrecht für die derzeitigen Pächter vor. Dies bedeutet, dass 2024 Agroholdings das Land, das sie pachten, zu einem Preis kaufen dürfen, den staatliche Schätzer und nicht die Besitzer festlegen.

Kritiker befürchten, dass sich das Kaufverbot für Ausländer leicht umgehen läßt. Es sei nicht schwer für agroindustrielle Betriebe, einheimische Strohmänner zu finden, sagte der Gewerkschaftsaktivist Wolodimir Chemeris zur taz.

Auch Tageszeitung „Vesti“ sieht in der Bestimmung, dass ukrainische Bodenbesitzer auch bei ausländischen Banken eine Hypothek auf ihr Land aufnehmen können, ein Schlupfloch für Nichtukrainer. Denn wenn diese Bodenbesitzer eines Tages zahlungsunfähig seien, gehe das Land in den Besitz dieser Banken über, so die „Vesti“.

„Das Land und der Himmel gehören allen“

Die Kritiker befürchten eine Konzentration von Land in den Händen weniger. In der Folge werde die Landflucht zunehmen, die Landbevölkerung weiter verarmen. 2024 würden dann, so die Befürchtung, Oligarchen viel Land aufkaufen und anschließend die Produktion den Exportvorschriften in die EU anpassen. Bei einer Steigerung des Exportes werden jedoch die Lebensmittelpreise in der Ukraine selbst steigen.

„Das Land und der Himmel gehören allen“ zitiert Wolodimir Chemeris eine Weisheit der Indianer. Den Indianern hätte man das Recht gegeben, ihr Eigentum zu verkaufen. Und sie leben nun in Reservaten auf ihrem eigenen Land, so Chemeris.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.