: Junkies unter Druck
Suchtkranke haben in der Coronakrise besondere Schwierigkeiten, an ihre Drogen zu kommen. Die Drogenhilfe wird dadurch noch wichtiger, ist aber mangelhaft ausgestattet
Von Yasemin Fusco
Etwa 40 Menschen stehen dicht an dicht nebeneinander, sind unruhig. Nach Heroin, Crack oder Opioiden Süchtige warten auf ihre Gelegenheit, in den Drogenkonsumraum zu gehen – oder sie hängen hier in Harburg auf dem Schwarzenberg einfach ab.
Herumstehen, als marginalisierte Gruppe, ist in Hamburg in diesen Tagen fast schon ein Privileg. Die Polizei schaut bei den Drogenkonsumräumen von Abrigado nahe der Technischen Universität so gut wie nie vorbei. Die Drogenhilfe-Einrichtung stellte 1994 als erste in Deutschland Drogenkonsumräume für Suchtkranke zur Verfügung. Der Gebrauch mitgebrachter Drogen wird geduldet und von Sozialarbeiter*innen überwacht.
„Die Sucht ist nicht vom Himmel gefallen und nur weil Corona ist, geht sie auch nicht weg“, sagt Geschäftsführer Urs Köthner. „Wir haben unsere Dienste ausgedünnt, sodass so wenig Mitarbeiter*innen wie möglich und so viele wie nötig vor Ort sind“, sagt Köthner. Der Rest ist zuhause und kann bei Bedarf einspringen.
Köthner arbeitet seit 25 Jahren als Therapeut und Sozialarbeiter mit Suchtkranken. „Deren Lebensraum wird gerade immer enger“, sagt er. An Mindestabstände, also die zwei Meter, hält sich keiner seiner Klienten. Ein Mitarbeiter treibt sie auseinander treiben.
Gegen derartige Ansagen wehren sie sich nicht. „Ich finde die Maßnahmen gut und finde auch nicht, dass die Leute unfreundlicher sind“, sagt einer von ihnen. Für ihn seien die Menschen sogar achtsamer im Umgang miteinander seit der Corona-Pandemie. Ein anderer sorgt sich trotzdem wegen der Freiheitsbeschränkungen. Er fürchtet dass womöglich noch das Zahlen mit Bargeld abgeschafft wird, um die Ansteckungsgefahr zu minimieren.
Viele Suchtkranke, die vor der Einrichtung stehen, haben kein Zuhause und wüssten nicht, was sie machen sollen, sollte Abrigado seine Türen schließen. Weil in Hamburg das öffentliche Leben fast zum Erliegen gekommen ist, können sie weder betteln noch Pfandflaschen sammeln, um sich für den nächsten Schuss etwas hinzuzuverdienen.
Das Drob Inn in St. Georg hat sich auf diese neue Lage eingestellt. Innerhalb von drei Wochen erweiterte die Einrichtung ihr Angebot um drei Stunden täglich, damit sie weitere Suchtkranke mit Ersatzdrogen versorgen kann, die den Drogenkonsum nicht mehr finanzieren können.
„Gestern hatten wir 26 Neue, die wir relativ aufwendig mit Speicheltests aufgenommen haben. Wer Symptome des neuartigen Covid-19-Virus zeigt, wird auch darauf getestet“, sagt Christine Tügel, Vorstand des Trägervereins Jugendhilfe e.V. Viele sind aufgrund ihrer oft langjährigen Sucht vorerkrankt.
Neben weiteren Ärzt*innen, die sich bereit erklärt haben, für das Drob Inn zu arbeiten, hat der Verein Streetworker*innen vor die Ambulanz beordert, die Suchtkranke auch sozialpsychologisch in dieser Krise betreuen.
Was beiden Einrichtungen fehlt, ist Schutzmaterial. „Es ist überhaupt kein Vorwurf an die Gesundheitsbehörde“, sagt Köthner, „aber in diesen Zeiten ist die Kommunikation mit dem Gesundheitsamt schwierig“. Er will sich gleich wieder an die Arbeit machen, um neue Schutzmasken für sein Team zu organisieren. Die letzte Lieferung vom Freitag reiche nur für eine Woche, sagt er. Sein Team bräuchte dringend Corona-Schnelltests, Atemschutzmasken, Schutzanzüge für die Mitarbeitenden und Desinfektionsmittel.
Dasselbe Problem beklagt die Ambulanz im Drob Inn. „Die Mitarbeitenden der Suchthilfe müssen ihre Arbeit auch im persönlichen Kontakt fortführen können – dazu brauchen sie zwingend ausreichendes Schutzmaterial und -kleidung sowie Desinfektionsmittel, das sie zentral über die öffentliche Verwaltung beziehen können“, heißt es in einer Mitteilung. Für sie müsste ein vereinfachter Zugang zur Corona-Testung über die Gesundheitsämter geschaffen werden, heißt es weiter.
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