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Studieren während der PandemieKontaktloser Semesterstart

Die Unis in Norddeutschland beginnen das Sommersemester mit reinem Online-Betrieb. Keiner soll Nachteile haben. Die Asten sind skeptisch.

Der Hörsaal bleibt erstmal leer. Die Uni-Hamburg will trotzdem viel Normalität bieten Foto: Ulrich Perrey/dpa

Hamburg taz | Es sah kurz so aus, als wiederholte sich der Abi-Streit von neulich. Der Ring Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS) Schleswig-Holstein warnte vor einem „Schlag ins Gesicht für die Univerwaltungen im ganzen Land“, sollte das Sommersemester 2020 verschoben werden. Solche Überlegungen von CDU-Wissenschaftsministerin Karin Prien kämen zum „völlig falschen Zeitpunkt“, da die Unis seit Mitte März mit Hochdruck an digitalen Lösungen gearbeitet hätten.

Doch Prien habe dies „direkt“ nicht gesagt, relativierte am Freitag der RCDS-Landeschef Chwalibog Bouman im Gespräch mit der taz. Es handle sich um ein „Missverständnis“ aufgrund einer Zeitungsüberschrift. Denn es war der Chef der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), Peter-André Alt, der am 1. April im Handelsblatt anregte, man solle das Semester deutschlandweit „etwas später starten – natürlich nur, wenn der Shutdown bis dahin aufgehoben ist“.

Alts Vorschlag wurde tags drauf in einer Telefonschalte der Kultusministerkonferenz diskutiert. Dabei verabredeten die 16 Länder, dass das Sommersemester 2020 „ein ungewöhnliches, jedoch kein verlorenes“ sein solle. Anfang und Ende sollen nicht verschoben, aber die Vorlesungszeiten „flexibel“ gestaltet werden.

Niedersachsens Wissenschaftsminister Björn Thümler (CDU) gab schon Donnerstagabend bekannt, was das heißt: Das Semester startet nun am 20. April als „Online-Semester“. Es könne „Geruckel“ geben, doch die Server reichten aus. Bis zum 19. April sind Mensen, Hörsäle und Bibliotheken eh wegen der Pandemie dicht. „Falls ein Präsenzbetrieb in diesem Semester möglich sein sollte, würde er in geeigneter Form aufgenommen“, erläutert Hamburgs Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank (Grüne) am Freitag. Nur weiß das keiner. Auch in Bremen finde das neue Semester digital statt, teilt ein Sprecher mit. Ab dem 13. April werde die Uni „intensiv über die neuen Formate informieren“.

Offene Hörsäle vielleicht später

An der Christian-Albrechts-Uni in Kiel, wo auch Bouman im 6. Semester Politik studiert, geht es schon an diesem Montag los. Er sagt: „Das ist fast wie ein Fernstudium.“ Die rund 27.000 Studierenden sollten sich an verschieden Tagen anmelden, damit die Server nicht überlastet werden. „Alle acht Fakultäten bieten Online-Lehre an, einige zu 100 Prozent, andere zu 70 bis 80 Prozent“, sagt Uni-Sprecher Boris Pawlowski.

Das Ziel sei, dass in diesem Semester möglichst viele Studierende viele Leistungspunkte erwerben. Die Lehrangebote mit Praxisanteilen sollten im Lauf des Semesters hinzukommen. Sollte es Schwierigkeiten geben, etwa weil Studierende kein Endgerät haben, „wird ein Nachteilsausgleich gewährt“.

Die Europa-Universität in Flensburg startete ihr Semester schon am 16. März. „Wir sind im Betrieb überrascht worden“, sagt Sprecherin Kathrin Fischer. „Seitdem halten wir den Lehrbetrieb aufrecht.“ Dies gelinge mit viel Improvisation und Engagement und einer Kombination verschiedener Techniken.

„Manche Lehrende lassen Fachbücher lesen und regelmäßig Zusammenfassungen schreiben, andere kombinieren Präsentationsfolien mit virtuellen Kurstreffen“, erläutert Fischer. Wieder andere versuchten ganz neue Formate wie „home cooking mit anschließendem Rezeptaustausch“ oder „Chats zwischen Figuren aus der Weltliteratur“, das variiere je nach Fachdisziplin. Das Studium habe für viele der rund 6.000 Studierenden hohe Praxisanteile, diese auf Online-Lehre zu übertragen, sei nicht einfach. Dennoch werde das Semester nach bisheriger Maßgabe gewertet.

Generell beteuern die Kultusminister, dass Studierende keine Nachteile haben sollen, etwa beim Bafög, wenn sie eine Leistung nicht in der Regelstudienzeit erbringen können. Hier wolle man in Absprache mit der Bundesbildungsministerin „flexible Lösungen“ finden, sagt Fegebank.

Thema Prüfung noch in Klärung

An der Hamburger Hochschule für Angewandte Wissenschaften begann das Semester Anfang März, dort wurde der Präsenzbetrieb ausgesetzt. Er bedanke sich bei den Studierenden, für das „Sich-Einlassen und die vielen Anregungen“, sagte Präsident Micha Teuscher. Einige Studierende haben nun sogar Messlabore im eigenen Zimmer.

Die Uni Hamburg hat den Start noch vor sich. Präsident Dieter Lenzen sagt, man wolle für die Studierenden „so viel Normalität wie möglich“ schaffen, auch damit diese „keine Verlängerung des Studiums in Kauf nehmen müssen“. Er merkt an, dass sich nicht alle Lehrformate ins Digitale überführen lassen. Und das Thema „Prüfungsleistungen“ befinde sich noch in der „technischen und rechtlichen Klärung“. Hausarbeiten seien unproblematisch, Klausuren erwiesen sich als „herausfordernd“.

Rektor fordert soziale Absicherung

Der Hamburger Asta-Vorsitzende Karim Kuropka ist skeptisch, ob es gelingt, die Lehre für 40.000 Studierende online anzubieten. Das Semester dürfte nicht verpflichtend sein. „Es sollte eine Art des Ausprobieren sein. Wenn Dinge nicht klappen, darf es nicht Studierenden zur Last gelegt werden“, so der Linguistik-Student. Da manche Kurse nur einmal in Jahr angeboten werden, müsste die fürs Bafög wichtige Regelstudienzeit sogar um ein Jahr verlängert werden. Auch Fristen für den Studienverlauf dürften nicht streng gehandhabt werden. „Darauf haben wir die Wissenschaftsbehörde hingewiesen.“

Fabian Zühlke von der Landes-Asten-Konferenz in Mecklenburg-Vorpommern fordert explizit, auch bei Online-Kursen auf Anwesenheitspflicht zu verzichten, „damit sich Studierende um die Sicherung ihrer Existenz kümmern können“. Damit spricht er einen wichtigen Punkt an. Für Studierende fallen wegen der Corona-Krise viele Jobs weg. Nur rund ein Viertel bekommt Bafög. Hamburg bietet deshalb ein Notfall-Darlehen von 400 Euro an. HRK-Präsident Peter-André Alt regt gar ein „Arbeitslosengeld“ für Studierende an. „Sie müssen schließlich weiter wohnen und essen.“

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1 Kommentar

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  • Ich muss dazu jetzt mal eins sagen: Habe einige Zeit an einer normalen Universität studiert und nach 4 Semestern in ein Fernstudium gewechselt. Das Einzige, was wirklich fehlt ist der persönliche Kontakt zu den Kommilitonen aber ansonsten bin ich nur positiv überrascht worden. Die Lernmaterialien sind besser und die Lernzeiten können ebenso viel sinnvoller gestaltet werden. Als zweifacher Vater erst Recht.

    Klar, das jetzt viele Univerwaltungen erstmal viel zu tun haben, aber ich hoffe einfach, dass durch die Krise jetzt starre, veraltete Muster - wenn leider auch zwangsweise und etwas überrumpelnd - mal ein bisschen gelockert werden und man die neuen, digitalen Möglichkeiten zu schätzen lernt. Viele Fernhochschulen machen das ganz hervorragend, so dass ich manchmal gar nicht verstehe, warum normale Unis oftmals gar keine "Online Fragestunde" o.ä. anbieten. Was spricht denn dagegen, außer dass man es "nicht anders kennt"? Einige davon bieten sogar den betroffenen Kurzarbeitern jetzt Weiterbildungsmöglichkeiten an. (Quelle: www.studihub.de/iu...-die-coronakrise/) Nennt mir mal eine Präsenz-Universität, die sowas macht und so flexibel aufgestellt ist wie irgendeine vergleichbare Fernhochschule. Aber das zieht sich ja durch alle öffentliche Einrichtungen und Unternehmen: Jeder, der noch nicht in der digitalen Welt angekommen ist (und Deutschland ist da ja ganz weit vorne, was machen eigentlich die Tageslichtprojektoren?) ist jetzt im Nachteil. Schwieriges Unterfangen, aber auch eine Chance.

    Aber man kann selbstverständlich auch nicht alles schön reden: Die Klausuren werden für Universitäten jetzt herausfordernd, da stimme ich voll und ganz zu. Ich denke, dass man die Termine und die Anzahl der Teilnehmer auf mehrere Tage strecken müsste, so soll es ja auch bei den anstehenden Abiklausuren gemacht werden. Eventuell lassen sich ja auch einige Kurse zu einer Hausarbeit umwandeln. Bin gespannt wie das weitergeht.