die dritte meinung
: Politik im Krisenmodus braucht Wachsamkeit statt dumpfen Gehorsams, sagt Ario Mirzaie

Ario Mirzaie ist Politikwissenschaftler. Er ist Mitglied der Grünen und engagiert sich im #unteilbar Bündnis.

Neulich fragte eine Bekannte im Netz, ob sie noch ihre Lebensgefährtin besuchen dürfe. In Berlin ist das nämlich unklar formuliert. Die Antwort einer Mitdiskutantin folgte prompt. Es sei doch „ganz einfach“ und sie müsse „einfach zu Hause bleiben“. Nachfragen unerwünscht. Man könnte das als Einzelmeinung abtun. Wäre da nicht eine ganze Stell-keine-Fragen-Fraktion, die Sorgen bezüglich der Maßnahmen gegen Covid-19 als unbegründet abtut. Und dabei Solidarität mit kollektiver Einigkeit verwechselt. Ein autoritäres Denkmuster.

Wer kann und darf, hat sich eingerichtet in der Isolation. Mit vollem Kühlschrank und Balkonkonzerten. Das gilt für die, die ein sicheres Dach über dem Kopf haben. Ausgangsbeschränkung bedeutet aber auch: mehr häusliche Gewalt. Mehr Überlebenskampf für Obdachlose. Mehr Personen, die nun aufgrund von Polizeikontrollen die Öffentlichkeit meiden. Mehr Personen, die nicht das Privileg haben, ihren Bewegungsradius bis zum nächsten Supermarkt auszuweiten. Weil sie keine gültigen Papiere haben oder rassistische Diskriminierung fürchten. „Einfach machen“, „einfach zu Hause bleiben“ ist für viele eben keine Option.

In der Politik klingt es derzeit ähnlich schwarz-weiß. Jetzt schlage „die Stunde der Exekutive“. Handeln statt reden. Ganz falsch ist das nicht. Regierungen, Ministerien und Behörden sind jetzt gefordert. Sie müssen sich kümmern: Um die Beschaffung lebensnotwendiger Güter und um die Krisenkommunikation mit einem Souverän in Quarantäne. Tauschen möchte man da nicht. Aber müssen wir deshalb alles unhinterfragt mittragen? Auch nicht. Es braucht jetzt starke Parlamente und klare Gewaltenteilung.

Es ist gut, dass letzte Woche der Bundestag getagt hat. Dass Abgeordnete Fragen stellen und Forderungen adressieren, etwa die Evakuierung der Menschen aus den griechischen Elendslagern. In Krisenzeiten darf man vor lauter Klopapierneid und Notstandsromantik nicht vergessen, wachsam zu bleiben. Die Demokratie wird es uns danken.