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Tag der schließenden Tür

Zwei Ausstellungen, zwei Besuchstermine und eine schöne Bahnfahrt durch Schleswig-Holstein. Eine letzte Tour durch die Nordkultur – Eindrücke für länger

Von Frank Keil

„Schön, dass du noch gekommen bist“, sagt Sönke Knipshals, Mitarbeiter der Kieler Stadtgalerie und diesmal auch Kurator der aktuellen Ausstellung: „Du bist wahrscheinlich der letzte Besucher, hinter dir schließe ich dann ab und hänge das Schild auf.“ Wie es weitergeht? Wir stehen im Foyer, er zuckt mit den Achseln. „Schon seltsam, dass wenn mal alle unverhofft frei haben, man ausgerechnet nichts unternehmen kann; dass die ganze Freizeit wegfällt“, sagt er. Dass man nicht mal sagen kann, komm‘, lass uns ins Museum gehen, wenn die Kinder zu Hause langsam am Rad drehen.

Zum Glück für sein Haus hat die Eröffnung der Ausstellung schon stattgefunden, man hat sich getroffen, auch ein wenig gefeiert, das sei für Gruppenausstellungen immer wichtig, dass sich die eingeladenen KünstlerInnen untereinander kennenlernen, sich vielleicht irgendwas ergibt oder man sich wenigstens nett findet und man mit Bier anstößt.

Und dann gehen wir einfach los, so wie immer, als sei es ganz normal, stellt er mir die verschiedenen Kunstwerke vor, wir kommen ins Reden: Es ist eine wuchtige Ausstellung, „Poetik öffentlicher Kommunikation im Spiegel aktueller Kunst“ der Titel, Stoff, dass das Gehirn sich anstrengen muss.

Vorher aus Flensburg gekommen, die schöne, oft eingleisige Bahnstrecke über Sörup, dann Rieseby und Eckernförde genommen, sehr empfehlenswert, überall standen Rehe in der Frühlingssonne und ließen sich nicht weiter stören.

Vorläufig letzte Pressekonferenz auf dem Museumsberg, eine groß-angelegte und wie sich zeigt gute Ausstellung über 100 Jahre deutsch-dänische Grenze, die zu diesem Zeitpunkt noch passierbar für alle ist. Schöne Exponate wurden gesammelt, über Flensburg als Grenzstadt, die nun erst mal niemand sehen wird. Es fällt auch die Eröffnung aus, ein ganzer Tag der offenen Tür, der als große Sause geplant war: Frank-Walter Steinmeier ist der Schirmherr, und er wäre bestimmt gekommen.

Nun stehen wir alle unschlüssig herum, haben weniger Fragen zur Ausstellung, wollen nur wissen, wann es stattdessen losgehen könnte und sagen „völlig verrückt“ und „was soll man machen“ und „ob das wohl so sinnvoll ist“, hinter uns wird dann zugesperrt. Immerhin ist die Ausstellung bis in den Herbst geplant. Also gleich den Text für später schreiben? Oder besser warten, was noch kommt?

Ich gehe runter in die Unterstadt, zum Schifffahrtsmuseum am Wasser, wo der zweite Teil der Ausstellung aufgebaut ist, der wann auch immer zu sehen sein wird. Ich bin der einzige Journalist, der sich hier umschaut, aber vielleicht ist das auch gar nicht so merkwürdig, auch das Schifffahrtsmuseum schließt, was soll man sich da zu viele Notizen machen.

Sehr tricky, wie man hier das Thema der deutsch-dänischen Grenze aufgegriffen hat: als die Grenze auf dem Wasser, also die sich vorzustellende Linie quer durch die Förde. Vom Schmuggel wird erzählt, von Grenzstreitigkeiten, vom Genre der Butterfahrten, ja, die gab es mal.

Alle stehen unschlüssig herum, sagen „völlig verrückt“ und „was soll man machen“ und „ob das wohl so sinnvoll ist“, hinter uns wird dann zugesperrt

Und mir fällt nun leicht sentimental gestimmt ein, wie die Niemanns, das kinderlose Ehepaar ein Stockwerk über uns, das bei einem Autounfall ums Leben kam, mich mal auf eine Butterfahrt mitgenommen hat, ich war neun oder zehn Jahre alt und trug noch kurze Hosen. Ich brachte damals tatsächlich ein Paket Butter mit, die lustigerweise gesalzen war und für mich Schokolade, aber was wichtiger war: Ich komme aus dem Block, da war kein Geld für Urlaube, aber nun konnte ich endlich sagen: Doch, ich war schon mal im Ausland, in Dänemark.

Eine Grenze war überschritten worden. Weil ich zeitlich etwas knapp bin, fährt mich Susanne Grigull, die Leiterin des Hauses, noch hoch zum Bahnhof. Sie fährt einen alten, roten Volvo, breit wie die Straße, ein Benziner der letzten Art. Wir unterhalten uns – über das Virus und das alles.

Als Leiterin einer städtischen Einrichtung hat sie die letzten Tage bei einer Krisensitzung nach der nächsten im Rathaus verbracht, wovon sie leicht amüsiert erzählt. Viel Aufregung, viel Ernsthaftigkeit, viel Für und Wider, aber es muss nun mal gehandelt werden, niemand ist ausgenommen. Die Leiterin der Stadtbücherei etwa wurde für das Notruftelefon eingeteilt, sie selbst hat man bisher aufgabenfrei in Ruhe gelassen: „Ich bin ja nur ein Kulturmensch“, lacht sie, schaltet einen Gang runter und biegt in die Bahnhofstraße ein, an der Feuerwache vorbei.

Flensburgs städtische Feuerwehr hat nur einen Zug, was, wenn da zwei, drei Leute ausfallen, hat sie erfahren, erfahre ich nun, jüngst hat man schon mal die freien Wehren auf den Dörfern rund rum per Notfallplan eingebunden. Dann hält sie vor dem klotzigen Bahnhofsgebäude und wir verabschieden uns. Irgendwann sehen wir uns wieder, irgendwann, wann auch immer.

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