: Magazine für leer gefegte Straßen
Wegen der Coronakrise bleiben die Kunden aus: Straßenmagazine leiden unter der Situation, aber die Solidarität ist groß
Von Friederike Grabitz
An seinen letzten Arbeitstagen verdiente Sven Kahl kaum genug für seine Busfahrkarte zum Kieler Citti-Park und zurück. Kahl verkaufte das Kieler Straßenmagazin Hempels – aber jetzt, wo wegen Corona die Straßen leer sind, bleiben seine Kunden weg. „Normalerweise habe ich zwölf bis 15 Hefte dabei. Zuletzt habe ich nur ein bis drei am Tag verkauft“, sagt er. Er vermutet, dass „die Menschen eigene Sorgen haben. Wenn überhaupt, kommen sie mit ausgestrecktem Arm auf mich zu.“
Alle Straßenmagazine leiden unter der Krise. „Die Menschen gehen auf Abstand, das können wir niemandem übel nehmen“, sagt Lukas Lehmann, der die Arbeit der in fast ganz Schleswig-Holstein erscheinenden Hempels-Straßenmagazine koordiniert. Der direkte Kontakt ist aber „unser Konzept“, bringt es Stephan Karrenbauer auf den Punkt. „Es ist eine Extremsituation, die wir so noch nie hatten.“ Er ist Sozialarbeiter und Pressesprecher des Hamburger Straßenmagazins Hinz&Kunzt.
In Hamburg hatten viele der 500 Verkäufer selbst Angst, sich anzustecken. Nur 80 von ihnen haben sich in der letzten Woche Zeitungen abgeholt, inzwischen wird auch Hinz&Kunzt nicht mehr verkauft. Die Verkäufer verlieren dadurch nicht nur Einnahmen, sondern auch ihre Tagesstruktur und soziale Kontakte.
Die Redaktionen reagieren unterschiedlich auf die Krise. So plant Hempels statt einer Aprilausgabe eine Doppelnummer im Mai – falls die Krise bis dann überstanden ist. Die Redaktion der Bremer Zeitschrift der Straße arbeitet ohnehin im Homeoffice und hat eine April-Ausgabe, die digital erschienen ist.„Wir verschenken sie und machen eine Spendenkampagne für die Verkäufer“, sagt Redaktionsleiter Jan Zier, der auch für die taz in Bremen arbeitet.
Das Bremer Vertriebsbüro hat schon vor einer guten Woche dichtgemacht. Dass nun viele öffentliche Veranstaltungen ausfallen, mache auch die Recherche schwierig, sagt Volker Macke, der im „Bundesverband soziale Straßenzeitungen“ etwa 30 Magazine vertritt: „Wir teilen jetzt Geschichten“.
Er macht sich auch Sorgen um die langfristige Existenz der Zeitungen. „Einige könnten nach zwei Monaten finanziell platt sein.“ Viele VerkäuferInnen der Straßenmagazine würden damit ihr einziges Einkommen verlieren. Sie gehören zu der gesellschaftlichen Schicht, die von der Krise am härtesten betroffen ist. Manche sind obdachlos, andere waren es und haben dank ihrer Arbeit für die Zeitung jetzt eine eigene kleine Wohnung.
Die Zeitungen erfüllen also eine wichtige soziale Funktion. „Wir stellen einen Teil des Hilfesystems dar für diejenigen, die ganz unten sind“, sagt Lukas Lehmann. Die Gruppe der Bedürftigen werde in Zukunft wachsen, glaubt er. „Viele Menschen verlieren gerade ihren Arbeitsplatz oder gehen in Kurzarbeit“, sagt Lehmann. „Wenn die Wirtschaft jetzt in eine Regression geht, werden uns noch mehr brauchen als bisher.“
Deshalb, fordert er, brauche es auch unbürokratische Hilfen von der Kommune. Die Stadt Kiel hat die Problematik auf dem Zettel. „Der Sozialdezernent entscheidet Ende der Woche über finanzielle Hilfen für Menschen, die nicht im Leistungsbezug sind“, sagt Kerstin Graupner, Pressesprecherin der Stadt Kiel. Außerdem sollen zusätzliche Unterkünfte organisiert werden, die Stadtmission hat das Projekt „Sattmission“ initiiert: Restaurants kochen kostenlos für die Menschen, die von der Krise am meisten betroffen sind.
In Hannover wurde das Magazin Asphalt noch bis vor kurzem verkauft. Redaktionsleiter Volker Macke macht sich Sorgen, was passiert, wenn es im April nicht erscheinen kann. „Wir versuchen jetzt, Zeitungsboxen anzumieten für einen kontaktlosen Verkauf vor Supermärkten“, sagt er. In einem Newsletter informiert er über die Situation der Obdachlosen während der Coronakrise und sammelt Spenden. Die Solidarität sei groß: „Vor einer Woche sind an unseren VerkäuferInnen viele Menschen vorbeigegangen. Das ist jetzt anders – viele kommen und spenden.“
Für Sven Kahl ist das die letzte Hoffnung. Er hat keine Rücklagen mehr, von denen er die nächsten Wochen leben könnte – keiner seiner Kollegen hat sie, wie er sagt. Von den 160 Euro Grundsicherung, die er im Monat bekommt, kann er sich und seinen Sohn nicht ernähren.
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