piwik no script img

Wieder leben lernen

In der anthroposophisch orientierten Psychosomatik sollen Patientinnen und Patienten ihren eigenen Wesenskern als Kraftquelle neu entdecken

Die anthroposophisch orientierte Psychosomatik arbeitet als Teil der anthroposophisch erweiterten Medizin nach einem integrativen Konzept, das heißt Grundlage der Diagnostik und Therapie sind die heutigen naturwissenschaftlichen schulmedizinischen Erkenntnisse. Alle im psychosomatischen Bereich der anthroposophisch erweiterten Medizin tätigen Ärzte, Psychologen, Therapeuten und Pflegekräfte verfügen über diese wichtigen wissenschaftlich-fachlichen Grundlagen.

Viele der heutigen psychosomatischen Erkrankungen wie Depression, Angststörungen, Traumastörungen und Erschöpfungszustände, etwa Burn-out, und die damit oft einhergehenden körperlichen Symptome wie Schmerzen und Schlaflosigkeit zeigen eine Störung der Balance zwischen Körper und Seele eines Menschen an. Um den Patienten in seiner Ganzheit zu verstehen, ist deshalb eine fundierte bio-psycho-soziale Diagnostik bei den meisten psychiatrischen und psychosomatischen Richtungen Grundlage jeder Behandlung. Dabei werden die komplexen Wechselwirkungen zwischen dem Menschen, seinen gesundheits-, umwelt- und personenbezogenen Faktoren als dynamisches Beziehungs-Modell verstanden und mit berücksichtigt.

Ärzte und Psychotherapeuten innerhalb der anthroposophisch orientierten Medizin erweitern die psychotherapeutische Diagnostik um die Erkenntnisse und Einsichten des anthroposophischen Menschenbildes. Therapeutische Methoden und Anwendungen wie Heileurhythmie, Rhythmische Massage, Teil- und Ganzkörpereinreibungen, Bäder und Wickel werden daher immer mit Blick auf den seelischen Zustand und die Biographie des Patienten individuell verordnet.

Einen hohen Stellenwert legt anthroposophisch orientierte Psychosomatik auf die „Lebenskräfte-Organisation“ und den „geistigen Wesenskern“ – das Ich des Patienten. Dieses Ich repräsentiert im anthroposophischen Menschenbild das Geistige im Menschen, seine Individualität und Persönlichkeit – und die Quelle lebenslanger Weiterentwicklung.

Ziel des therapeutischen Prozesses der anthroposophisch orientierten Psychotherapie ist es, die „leiblich-seelischen Aspekte“ und den „geistigen Wesenskern“ des Patienten wieder in Balance zu bringen. Die bisherige Sicht der gegenwarts- und vergangenheitsbezogenen Betrachtung seiner Lebenssituation soll sich um den Aspekt seelischer und geistiger Anteile erweitern können – und sich neue Perspektiven entwickeln. So soll der Patient seine Selbstwirksamkeit und die Kraft erleben, den individuellen Lebensweg – besonders in und nach Krisensituationen – aktiv neu zu gestalten. Das Leben wieder zu (er)lernen. Harald Gries

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen