: Frauenkörper sind kein Kaffee
Mit der Performance „Whitewashing“ der französischen Künslterin Rébecca Chaillon läutet der Verein Drama Panorama eine Reihe mit „afrodiasporischer“ Dramatik ein. Corona-bedingt war es ein Abend in illustrer Runde mit nur einer Handvoll Zuschauer*innen
Von Katharina Granzin
Nach der Performance sitzt Rébecca Chaillon vollständig bekleidet zum Publikumsgespräch da. Ihre Lippen sind nun mit einem schreiend blauen Farbton bemalt – eine andeutungsweise provokante Geste, in der die größere Provokation von vorher gleichsam nachhallt. Eine gute Stunde zuvor hatte sie sich noch nackt auf dem Boden gewälzt, mit weiß angemaltem Körper. „Whitewashing“ nennt Chaillon diese Performance. Sie ist Teil eines größeren Stückes mit dem Titel „Carte noire nommé désir“, einst ein in Frankreich bekannter Slogan einer Kaffeemarke. Kaffee, Schokolade, Karamell – wenn über schwarze Frauen gesprochen werde, dann oft mithilfe solcher Essenmetaphern, erklärt Chaillon. Dem habe sie etwas entgegensetzen wollen.
Der Abend hatte begonnen mit einer verschlossenen Tür, denn Corona-bedingt war die Vorstellung für das allgemeine Publikum abgesagt worden. Nur ein knappes Dutzend Menschen sitzt locker verteilt im Saal, alle zum Team gehörend oder eng mit dem Verein Drama Panorama verknüpft. Performance und Gespräch werden gefilmt und im Netz gestreamt. Dieser Abend ist wichtig, bildet er doch den Auftakt einer Reihe. Unter dem Titel „Afropéennes – Afropäerinnen“ will Drama Panorama in diesem Jahr „afrodiasporische“ Dramatik aus Frankreich und Belgien vorstellen.
Rébecca Chaillon und ihre Mitspielerin Aurore Déon leiten den Abend damit ein, dass sie den Bühnenraum demonstrativ in Besitz nehmen. Ein großer Teil des Saales ist mit weißer Plastikplane ausgekleidet, die von den beiden Performerinnen hingebungsvoll geputzt wird. Während Déon sich stoisch mit dem Schrubber über die Bühne arbeitet und dabei, komplett mit Häubchen auf dem Kopf, das Klischeebild einer fleißigen Putzfrau abgibt, spielt Chaillon gleichzeitig eine ins Groteske gewendete Version derselben Rolle.
Putzen in Leopardensocken
Auf dem Boden kniend, wischt sie ihn mit den Händen und benutzt dafür nur anfänglich einen Putzlappen. Nach und nach entledigt sie sich all ihrer Kleidungsstücke, putzt weiter mit demjenigen, das sie gerade ausgezogen hat, bis sie sich am Schluss auch noch die Socken im Leopardenmuster von den Füßen zieht und zu Wischlappen umfunktioniert. Einen gruseligen Verfremdungseffekt bilden ihre Augen, aus deren Höhlen es in strahlendem Weiß blinkt: Sie putzt blind.
Sicher ist es für die Performerin selbst die größte Erleichterung, als sie, aber erst viel später, die weiß gefärbten Kontaktlinsen herausnimmt.
Mit sehr wenigen Requisiten füllen die beiden Frauen den gesamten Raum. Der nackten Blinden wird von Aurore Déon auf einen Stuhl geholfen, nachdem sie ihr zunächst die weiße Farbe vom Körper gewaschen und ihn danach wieder weiß eingecremt hat. Dann wird die sitzende Frau unter Zuhilfenahme zahlreicher falscher Haarteile mit ihrem Haar gleichsam an den Raum angekettet. Immer länger werden die Zöpfe, die Déon mit unglaublicher Geschwindigkeit flicht, bis sie lang genug sind, dass sie zu beiden Seiten des Saales an der Wand befestigt werden können. Zur Komplettierung dieser lebenden Installation beginnt nun Déon, auch den eigenen Körper surreal zu verfremden. Ein buntes Tuch nach dem anderen zieht sie aus ihrem Eimer, wickelt sie nacheinander um den Kopf, sie bestäubt den Oberkörper mit schwarzem Pigmentpulver, mit leuchtender Goldfarbe und Glitzer. Während Chaillon auf ihrem Stuhl an einer altertümlichen Kaffeemühle dreht, beginnt Déon sich über die Bühne zu bewegen wie eine ferngesteuerte Puppe. Das alles ist nicht sehr subtil und soll es auch gar nicht sein. Chaillon vertritt ein Theater des selbstbewussten, fast aggressiven Zeigenwollens. Die performative Schärfe wird nur durch die poetischen Texte gemildert, die die Frauen rezitieren. In anderen Aufführungen ihrer Performance, erzählen die Künstlerinnen am Ende, hätten sie das Publikum in zwei Gruppen geteilt: Eine Abteilung des Saales sei für Schwarze Frauen reserviert gewesen, die andere „für den Rest der Welt“. Aber, fügt Chaillon hinzu, sie hätten natürlich keine Schwarze Frau daran gehindert, sich hinzusetzen, wo immer sie wollte.
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