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Schleuser im Visier

Bei einer Großrazzia gegen vietnamesische Schleuser könnte es eine Verbindung zur Entführung eines vietnamesischen Ex-Politikers in Berlin geben. Beschuldigte sollen 155 Vietnamesen eingeschleust haben

Sechs Haftbefehle wurden erlassen, 30 Personen wurden vorläufig festgenommen

Von Marina Mai

Nach den bundesweiten Razzien der Bundespolizei gegen eine vietnamesische Schleuserbande ist ein Bezug zur Entführung des vietnamesischen Ex-Politikers Trinh Xuan Thanh im Sommer 2017 in Berlin möglich. Die Polizei hatte am Dienstag 32 Wohnungen, Asia-Imbisse und Nagelstudios von Vietnamesen in sieben Bundesländern durchsucht, 22 davon in Berlin. In der Hauptstadt wurden sechs Haftbefehle gegen vietnamesische Staatsbürger vollstreckt, darunter zwei Frauen. Weitere 30 Personen wurden zur Feststellung ihrer Identität vorläufig festgenommen.

Die Ermittlungen laufen bereits seit 2018. Anlass war die Kontrolle eines slowakischen Fahrzeugs mit Vietnamesen durch Bundespolizisten an der deutsch-tschechischen Grenze im Jahr 2018.

Die Bundespolizei beschuldigt die Männer und Frauen, mindestens 155 Vietnamesen nach Deutschland geschleust oder ihnen den Aufenthalt in anderen europäischen Staaten ermöglicht zu haben. Die nach Europa gebrachten Vietnamesen reisten mit gefälschten oder falsch datierten Visa per Flugzeug in osteuropäische EU-Staaten ein, so ein Sprecher der Bundespolizei.

In Berlin, was häufig für viele Neuankömmlinge nur eine Zwischenstation zu ihrem eigentlichen Fluchtziel Großbritannien war, wurden sie laut Polizei in einem „Safehouse“ festgehalten. Bis zur Zahlung des Schleuserlohnes für Flug und Visum sei ihnen der Zugriff auf ihr persönliches Hab und Gut verwehrt worden. Die Bundespolizei nennt Summen zwischen 5.000 und 20.000 Euro für den Schleuserlohn.

Nach taz-Recherchen müssen dieses Geld oft die Verwandten in Vietnam oder bereits in Europa lebende Verwandte aufbringen. Oft verschulden sie sich, weil sie darauf hoffen, dass das nach Europa gebrachte Familienmitglied von Europa aus die Familie finanziell besser unterstützt.

Die nach Europa gebrachten Menschen stammen fast immer aus dem von Armut und dem Klimawandel betroffenen Zentralvietnam und kommen freiwillig, weil sie sich hier ein besseres Leben versprechen.

Große Einkünfte sind vor allem in Großbritannien möglich, wo Netzwerke von vietnamesischen Zimmergärtnern Indoor-Cannabisplantagen in verlassenen Bauerngehöften betreiben. Aber Einzelnen ist in den letzten Jahrzehnten auch in Deutschland der Schritt hinaus aus der Illegalität in eine legale berufliche Existenz gelungen, sei es als GastronomIn, Werbetreibende oder BetreiberIn von Nagelstudios.

Bei den ausgestellten Schengen-Visa handelt es sich oft um slowakische, teilte ein Sprecher der Bundespolizei auf taz-Nachfrage mit. Das ist der Punkt, wo sich ein Zusammenhang zum Entführungsfall von 2017 ergeben könnte, den die Ermittler allerdings nach eigenen Angaben noch nicht im Blick haben.

Einer der mutmaßlichen Mitentführer, für den sich die deutschen Ermittler interessieren, war der damalige Präsidentenberater Le Hong Quang. Nach Ermittlungen der Bundesanwaltschaft hat der vietnamesischstämmige Ingenieur die Fäden gezogen, als das Entführungskommando gemeinsam mit ihrem Opfer im Sommer 2017 ein slowakisches Regierungsflugzeug auslieh und damit den Schengenraum verließ. Nach der Entführung wurde Le Hong Quang Geschäftsführer der slowakischen Botschaft in Hanoi. Seine Berufung zum Botschafter scheiterte lediglich am Veto des damaligen Präsidenten Andrej Kiska, denn Quang wurde in der Vergangenheit mit Korruption in Verbindung gebracht.

Wenn Informationen stimmen, die die taz 2018 von Vietnamesen aus der Slowakei und aus dem Umfeld der slowakischen Botschaft in Hanoi erhielt, dann soll Quang während dieser Zeit in einem Hinterzimmer der slowakischen Botschaft in Hanoi einen dubiosen Handel mit Visa betrieben haben. Bereits seit Mitte 2018 ist Le Hong Quang flüchtig. Die letzte Spur von ihm ist ein Foto bei Facebook von einem Klassentreffen in Vietnam im September 2018.

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