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Historische Collage

Zuletzt beim Filmfestival in Locarno zu Gast, will die Retrospektive „Black Light“ im Arsenal die Geschichte des internationalen Schwarzen Kinos aufbauen

„The Harder They Come“ (Perry Henzell Jamaika 1972) Foto: Arsenal – Institut für Film und Videokunst e.V.

Von Fabian Tietke

Nach einer persönlichen Krise zieht Sylvia Landry aus dem Norden der USA in den Süden und wird Lehrerin an einer Schule, die sich der Erziehung der Schwarzen Landbevölkerung verschrieben hat. Als die Schließung der Schule droht, reist sie zurück in den Norden, nach Boston, um Spenden zu sammeln. Trotz der Widerstände des Rassismus, der auch im Norden der USA überall anzutreffen ist, gelingt es ihr eine reiche weiße Dame für ihre Sache zu gewinnen. Zugleich lernt sie den Arzt Dr. V. Vivian kennen und verliebt sich in ihn. „Within Our Gates“ aus dem Jahr 1919 ist der zweite Film des Regisseurs Oscar Micheaux.

Micheaux, war zu Beginn des 20. Jahrhunderts der erste Schwarze Regisseur von Spielfilmen in den USA. Sein Filmdebüt gilt heute als verschollen, „Within Our Gates“ überlebte durch Zufall in der Filmoteca Española. „Wo beginnt man, wenn man versucht, eine Geschichte des internationalen Schwarzen Kinos aufzubauen?“ fragt Kurator Greg de Cuir Jr im Begleittext zu seiner Retrospektive „Black Light“, die letzten Sommer beim Filmfestival in Locarno lief und nun im Berliner Kino Arsenal in einer Auswahl nachgespielt wird.

Micheaux’ Film steht am Beginn eines Reigens von Filmen, in denen de Cuir Jr Spielarten ­eines Schwarzen Kinos skizziert. „Within Our Gates“ ist ein Panorama der USA der Jim-Crow-Ära, in der sich die rassistische Unterdrückung in den USA in die ­Gesetze eingeschrieben hat, während gleichzeitig rassistische Gewalt auf den Straßen tobte. Bei seinem Nachspiel konzentriert sich das Arsenal weitestgehend auf Filme aus den USA.

Eröffnet wird die Reihe am 10. März mit Melvin Van Peebles Klassiker „Sweet Sweetback’s Baadasssss Song“. Schon in den Credits zu Beginn des Films, als erste Darsteller_in nennt der Film „die Schwarze Community“, gewidmet ist er „allen Brüdern und Schwestern, die genug haben von ‚the Man‘“ (wobei „the Man“ wahlweise als die Weißen oder das weiße System zu übersetzen wäre).

Der junge Mann mit dem Spitznamen „Sweet Sweetback“ wächst in den 1940er Jahren in einem Bordell auf. Als erwachsener Mann performt er später bei Sexshows. Eher durch Zufall wird er verhaftet und muss mitansehen, wie die weißen Polizisten einen Black-Panther-Aktivisten, der mit ihm zusammen verhaftet wurde, zusammenschlagen. Sweetback schlägt die Polizisten nieder und flieht mit dem Aktivisten. Auf der Flucht reihen sich überraschende Allianzen und enttäuschende Erfahrungen mit Freunden aus Angst vor der Repression aneinander.

„Sweet Sweetback’s Baadasssss Song“ ist neben Gordon Parks Detektivfilm „Shaft“ (beide aus dem Jahr 1971) ein Gründungsfilm des Blaxploitation-Kinos. Van Peebles Arbeit ist eine Mischung aus Genrefilm, filmischem Pamphlet und Undergroundfilm. In seiner Mischung aus „Black Power, Sex und Kampf gegen ‚the Man‘“ (Katalogtext) begründete er eine neue Filmgattung, die genau diese Elemente immer wieder neu austarierte.

Die 1960er und 1970er Jahre nehmen in der Retrospektive einen zentralen Raum ein. Allein in diesen Jahren reicht die Spannweite von Richard O. Moores einstündigem Porträt James Baldwins, der im Gespräch mit der Schwarzen Bevölkerung San Franciscos Lebensrealitäten analysiert über Van Peebles Film bis zu Charles Burnetts „Killer of Sheep“. Burnetts Film ist seinerseits ein Gründungsfilm der „L. A. Rebellion“, in der Schwarze Filmstudierende an der kalifornischen Filmhochschule UCLA nach neuen Wegen zur Darstellung Schwarzer Lebensrealitäten suchten. Hauptfigur in Burnetts Film ist Stan, der als Angestellter einer Großschlachterei arbeitet und sich zunehmend von sich selbst entfremdet.

Zu den Produktionen der 1970er Jahre gehört aber auch ein Film wie „The Harder They Come“ vom jamaikanischen Regisseur Perry Henzell. Henzell verlegt die Geschichte des jamaikanischen Outlaws und Volkshelden Rhyging in die Gegenwart der 1970er Jahre. Jimmy Cliff spielt den jungen Ivan Martin, der auf der Suche nach Arbeit nach Kingston kommt. Gleich zu Beginn werden ihm seine Sachen gestohlen, die Arbeitssuche verläuft schleppend, doch Ivan lässt sich nicht beirren.

Eine Zufallsbegegnung mit einem Reggaeproduzenten verheißt schließlich den großen Ausbruch aus der Armut. Der Plan scheitert. Ivan muss davon leben, Marihuana zu transportieren. Als er rebelliert und mehr Geld fordert, verrät sein Chef ihn an die Polizei. Als er verhaftet werden soll, erschießt Ivan einen Polizisten und ist fortan auf der Flucht. „Black Light“ ist wie schon in Locarno weniger eine in sich geschlossene Überblicksschau Schwarzen Kinos, als vielmehr eine Skizze, die die noch zu leistende Arbeit in der Zukunft umreißt. De Cuirs „historische Collage“ ist ein guter Einstieg.

Black Light: Kino Arsenal, Potsdamer Str. 2, 10.–31. März

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