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„Klar tun die sich weh“

Sieht aus wie echt harter Wettkampf und ist doch vor allem ein Vergnügen für die, die zuschauen: Zu Besuch bei einer Wrestlingshow in der Hamburger Markthalle

Massiger Publikums- liebling: der Deutsche „Absolute Andy“ (r.) Foto: Michael Meister/WXW Wrestling

Von Sarah Mahlberg

Die Hamburger Markthalle ist ausverkauft. Fans sitzen mit Bierbechern in den Reihen oder stehen in den Rängen und blicken auf den Boxring. Dort soll in wenigen Minuten das Match beginnen, denn heute Abend gibt es hier kein Konzert. Viele tragen Shirts mit ihren Lieblingen darauf – ihren liebsten Wrestlern. Einer der Männer hat seinen Sohn mitgebracht, vielleicht zehn Jahre alt. Ein Kollege kommt rüber, grüßt das Kind: „Alles klar, Großer?“ – und tauscht mit dem Vater einen Herrenwitz aus, der von beiden Ehefrauen handelt.

Durch die Lautsprecherboxen ertönt ein Hinweis: Was gleich auf der Bühne geschehen werde, solle man keinesfalls zu Hause nachmachen. Aber weiß nicht jeder im Saal, dass die Kämpfe nicht echt sind? Wrestling ist ein Scheinwettkampf, bei dem die Kämpfer – doch: es gibt auch Kämpferinnen – brutal aussehende Aktionen durchführen, aber dem Gegner dabei möglichst wenig schaden. Wer gewinnt, steht vorher fest. Ist das alles überhaupt Sport?

„Natürlich“, sagt eine Frau aus dem Publikum. Ihr Name ist „Mel“, sagt sie, und dass sie seit ihrer Kindheit regelmäßig Matches besucht. Auch bei einem Training sei sie schon dabei gewesen. „Die lernen genau, wie sie richtig fallen und Schläge und Tritte sicher ausführen. Man will dem Gegner ja nicht wehtun.“ Im Grunde sei Wrestling ein auf Vertrauen basierender Partnersport – ein wenig wie Capoeira. „Das Schauspielerische ist aber mehr Soap Opera“, sagt Mel.

In den Ring hüpfen jetzt zwei Iren mit Spitzbärten und roten Speedos. Sie kämpfen gegen ein deutsches Duo: den blonden Jay Skillet und einen Glatzkopf namens „Absolute Andy“. Als der seinen massigen Körper in den Ring schiebt, brüllt das Publikum vor Begeisterung: Andy ist jetzt schon ihr Favorit. Jay merkt das und versucht durch Siegerposen zu begeistern – und erntet Buhrufe.

Team-Matches funktionieren durch Auswechseln und Abschlagen: Während die Iren sich schnell geeinigt haben, wer zuerst kämpft, stellt es sich beim Deutschen-Duo schwieriger dar: Immer wieder drängt Jay sich nach vorne und schimpft. Es ist offensichtlicher Slapstick, aber die Zuschauer*innen reagieren mit Gebrüll: Andy soll anfangen. „Schürrle auf die Bank!“ johlt die Menge begeistert – tatsächlich sieht der andere Wrestler dem Fußballspieler André Schürrle wirklich ähnlich.

Und doch darf „Schürrle“ am Ende anfangen, nicht der beliebtere Andy: Er rennt in die Mitte und schlägt zu. Der irische Gegner taumelt kurz, nimmt den anderen in den Schwitzkasten und drückt ihn zu Boden. Der Schiedsrichter wirft sich neben die beiden und schlägt ab: „Eins!“, schreit das Publikum. Und „zwei!“ Kurz bevor der Referee ein drittes Mal schlagen kann, das wäre die Niederlage für Andy und „Schürrle“, kann dieser sich aus dem Griff befreien. „Das passiert immer“, erklärt ein kleines Mädchen im Publikum ihren Eltern.

„Schürrle“ verpasst dem Gegner einen Schlag; der andere springt ihm auf den Rücken, zusammen krachen sie auf den Boden. „Andy, mach was!“, brüllt ein Zuschauer. „Jetzt reiß‘dich mal zusammen!“, brüllt auch der bullige Wrestler, und mit scheinbar letzter Kraft kommt sein Kollege an den Rand, schlägt ab – endlich ist Andy dran.

„Mach‘ihn fertig! Hau‘ihn tot! Reiß‘ihm den Arm ab!“, brüllen jetzt alle durcheinander. Beide Iren sind im Ring, das ist verboten, und der Schiri schimpft: mit erhobenem Finger, aber ohne Folgen. Andy rennt mit gesenktem Kopf auf die beiden zu, sie machen einen Bocksprung über seinen Rücken hinweg. Er rennt ins Ringseil, wird zurückgeschleudert, stürzt und begräbt beide Gegner unter sich. Die Iren setzen auf Salti und Tritte, Andy setzt auf sein Gewicht und entscheidet die Runde am Ende für sich.

Dann schleudert er die beiden aus dem Ring ins Publikum, wo sie liegenbleiben. Die Sanitäterin hat auch schon das Eis parat. „Die brauchen viel davon nach so ‚nem Kampf“, sagt sie resolut. Alles nur Show, aber: „Klar tun die sich weh.“ Mehr als Eis zum Kühlen habe sie bei solchen Shows aber noch nicht gebraucht. Doch: Ein Mal habe sie einen Kreislaufkollaps behandeln müssen – bei einem überhitzten Fan.

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