Nils Schuhmacher Hamburger Soundtrack: Tanz mit kleinen Feiglingen
Viele fragen sich heute: Welche Politiker*innen der Grünen werden als neue Senator*innen zeigen können, dass sie es „wert“ (Katja Husen) sind? Davor fragten sie sich: War das spontane Tänzchen des grünen Spitzenpersonals auf der Wahlparty im Knust in Wirklichkeit einstudiert (und wo war der dazu eigentlich gut passende Bauchladen mit „Kleinen Feiglingen“)? Warum das Ganze unter den Klängen von innovativen Liedern wie Blurs „Song 2“ und Pharrell Williams‘ „Happy Song“ stattfand und wo „Song for whoever“ von The Beautiful South dabei geblieben ist – das fragt sich vielleicht auch irgendjemand.
Man muss nur einen sehr kleinen Schritt machen, um von dieser Hamburger Ausgangslage zu den Berlinern von Mutter (Do, 5. 3., Golden Pudel Club) zu gelangen. Als die Band 1986 gegründet wurde, hießen die Hamburger Grünen noch GAL, stritten sich Fundis und Realos um die richtige politische Linie und sorgte Thomas Ebermann in der Hamburger Bürgerschaft noch für eine je nach Blickwinkel gute oder schlechte, in jedem Fall aufregende Stimmung.
Was im weiteren Verlauf geschah, ist bekannt. Die Folgen der Wiedervereinigung orchestrierte Mutter mit einer Debüt-LP, die den sarkastischen Titel „Ich schäme mich Gedanken zu haben die andere Menschen in ihrer Würde verletzen“ trug. Auf die Verschmelzung von Ost- und West-Grünen zum realpolitischen Gesamtverband Bündnis 90/Die Grünen reagierte man 1994 mit dem programmatischen „Hauptsache Musik“. Und dem Ende der rot-grünen Bundesregierung 2005 spendierte die Gruppe ein Best-of mit dem Titel „Das ganze Spektrum des Nichts“.
Dann trennten sich die Wege in gewisser Weise. Während die Partei bekanntermaßen die viel gerühmte Mitte der Gesellschaft erreicht hat, grüßt die fälschlicherweise oft der Hamburger Schule zugeschlagene Band mit den Noise-Gitarren und dem verhuschten Sprechgesang weiter aus den Restbeständen eines kulturellen und politischen Randes. Auf der „Der Traum vom Anderssein“ von 2017 präsentierte sie zuletzt ein breites Feld an lädierten Hoffnungen, zusammengeschnurrten Utopien und unbehaglichen Alltagsbeobachtungen.
Sieht anders aus, wenn man es betanzt. Und klingt auch besser.
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