debatte
: Das Herz schlägt rechts

Wo bleiben die wahren Konservativen? Ein bisschen politische Romantik

:

Mathias

Greffrath

lebt als freier Autor für Print und Radio in Berlin. Er ist Herausgeber von „RE: Das Kapital. Politische Ökonomie im 21. Jahrhundert“ (Kunstmann, 2017).

Die Schlaglochvorschau

26. 2. Georg Diez

4. 3. Georg Seeßlen

11. 3. Ilija Trojanow

18. 3. Jagoda Marinić

25. 3. Charlotte Wiedemann

1. 4. Hilal Sezgin

Im politischen Spektrum Deutschlands gibt es seit den Tagen des Schwarzen Riesen Helmut Kohl ein Vakuum auf der Rechten“, so schrieb schon vor zehn Jahren Norbert Bolz, der inzwischen pensionierte Professor für und mit Medienpräsenz und wackere Kämpfer gegen Öko-Puritaner, fanatische Feministinnen, Familienzerstörer und linke Meinungshegemonen. Ein Vakuum im Spektrum? Nun ja. Der schnelle Gedankenbrüter beklagte jedenfalls das Fehlen eines „anspruchsvollen Konservatismus“, der nach der Zwangssozialdemokratisierung und Entmännerung der CDU eine „neue geistige, nämlich (!) konservative Heimat“ bieten könne. Professor Bolz’Sehnsucht zielte auf eine Partei für die „Erfolgreichen“, auf eine Politik, die gegen den „vorsorgenden Sozialstaat“ kämpft, für Christentum, Familie und Gymnasium – vor allem aber für einen „unzweideutigen Schutz des Eigentums“, diesen „Stachel im Fleisch der Loser“.

Nun, statt des ersehnten „Coming-out“ konservativer „Starintellektueller“ setzten sich ein paar frustrierte Studienräte, erfüllt von Träumen einer „konservativen Revolution“, und ein von der „süßen Krankheit Gestern“ befallener alternder Ex-Beamter an die Spitze einer krausen politischen Bewegung: Xenophobe und Frauenfürchter, DM-Nostalgiker, enttäuschte Spätstalinisten, Rentner, denen das Weltbild, Kleinhändler, denen die Kunden abhanden kamen, und, am beängstigendsten, schlecht ausgebildete junge Männer aus entvölkerten Regionen. Eine Mischung aus Ressentiment, Schlichtheit, aber auch verstehbarer Wut über politische Stagnation angesichts drängender Notlagen und Probleme. Eine disparate Bewegung, die durch nichts als Außendruck und vulgäre Demagogie zusammengehalten wird, eine Partei, deren destruktive Gewalt zunehmen wird, solange so viele Probleme von den Parteien der „Mitte“ nicht angegangen werden. Parteien, die miteinander koalitionsfähig sind, aber allesamt in sich zwei Flügel haben, die einander neutralisieren: kosmopolitisch versus kommunitaristisch, wirtschaftsliberal versus sozialstaatlich, grünkapitalistisch versus ökologisch-fundamental. Dieser Binnenpluralismus und der real existierende Parlamentarismus verschleifen alle Diskussion über Alternativen, erlauben schon gar keinen „Großen Plan“ zur Transformation der Gesellschaft.

An der Höcke-Gauland-Truppe ist nichts konservativ oder bürgerlich außer ihrer Selbstetikettierung. Und die ist ärgerlich, denn ein „anspruchsvoller“ Konservatismus, der seine Werte – Naturverbundenheit, Heimatliebe, Pflichtbewusstsein, Gemeinschaft, Tradition, Christentum – nicht nur zu Floskeln pervertierte, sondern zu konkreten Forderungen zuspitzte, könnte den verstockten Sinn für Zukunft lockern.

Er wäre radikalökologisch, aus Achtung vor der Schöpfung und Vorsorge für die Nachgeborenen, er würde die Zerstörung der Landschaft und der Innenstädte bekämpfen, die Massentierhaltung verbieten. Er würde die Privatisierung von Heimen und Kliniken rückgängig machen und über Bürgerpflichten wie ein soziales Jahr nachdenken. Er würde Wohnungs- und Produktionsgenossenschaften fördern, den Preis von Baugrund und Ackerland kontrollieren, lokale Banken, Bürgerfonds und regionale Wirtschaftskreisläufe ­stärken.

Konservative denken in historischen Gemeinschaften. Sie wissen deshalb, dass jeder individuelle Reichtum sich der vergangenen „Arbeit der Nation“ verdankt und deshalb „an der Arbeit, die in unsichtbarer Verkettung alle leisten … alle berechtigt sind“, wie Walter Rathenau 1917 schrieb, dass deshalb „Eigentum, Verbrauch und Anspruch nicht Privatsache sind“. Für diesen bürgerlich-konservativen Industriellen folgte daraus die Forderung, die „verdienstlosen Massenerben“ zu enteignen und die großen Industrieunternehmen mithilfe des Aktienrechts auf das Gemeinwohl zu verpflichten.

Und schließlich: Konservative sind skeptisch gegenüber dem starken Nationalstaat, emotional eher der Region, intellektuell aber eher einer gesamteuropäischen Kultur verbunden – und damit Verteidiger einer Lebensweise, die gegenüber der chinesischen Autokratie und der globalen Plutokratie nur noch in einem politischen vereinten Europa zu bewahren ist – auch wenn dazu das Militär gehört. Und als christliche Universalisten sind sie einer aktiven Politik der globalen Gerechtigkeit verpflichtet – auch wenn das mit Opfern verbunden ist.

Den konservativen Impuls in uns zu stärken, das könnte unser Leben kohärenter machen

Natürlich hat ein solch radikaler Konservatismus nirgendwo institutionelle Gestalt angenommen, und koalitionsfähig wäre er schon gar nicht. Aber unsere Gefühle angesichts der Zerstörung urbaner Lebensweise, des Schrumpfens von Mittelstand, der Monetarisierung der Pflege, der Belastungen des Familienlebens, der Verwahrlosung der Schulen, des kommerziell angeheizten Hedonismus, der Schändung der Natur, angesichts von Zwangsdigitalisierung und pathogener Beschleunigung der Gesellschaft – diese Gefühle sind genuin konservativ. Sie wüten gegen einen Wandel, der wie ein Schicksal über uns kommt, sie möchten an vielen Stellen bremsen und rückbauen.

Ich bin sicher – auch wenn ich es nicht beziffern kann –, dass derartige konservativen Regungen in einer satten Mehrheit der Bürger schlummern. Eine Partei, die nur aus diesen Gefühlen ihr Programm formte, würde so radikal, dass sie kaum koalitionsfähig wäre. Aber diesen konservativen Impuls in uns zu stärken, das könnte die Lücke zwischen unserem Weltgefühl und unseren politischen Handlungen ein wenig schließen, unser Leben kohärenter machen. Es gibt da viele Gelegenheiten: im Alltagsumgang mit Lebensmitteln und Dingen, in Stadträten und Parteiorganisationen, und auf den Wahlzetteln als Stimme für die Partei, die diesem „anspruchsvollen“ Konservatismus am nächsten kommt. Vor allem aber darf man das Wort nicht den Feinden der Demokratie überlassen.