: Toller Flickenteppich
Im Duell gegen Leipzig geht es für José Mourinho, dem Coach der Tottenham Hotspurs, ums Renommee. Sein Team trotzt bislang den widrigen Umständen
Von Hendrik Buchheister
Die Zuschauer im alten und ehrwürdigen Villa-Park haben ein anarchisches Spektakel erlebt am vergangenen Sonntag, doch José Mourinho konnte die Veranstaltung nicht genießen – und das, obwohl der von ihm trainierte Klub Tottenham Hotspur das Premier-League-Spiel bei Aufsteiger Aston Villa 3:2 gewann, auch dank zweier Treffer des einstigen Bundesliga-Profis Heung-min Son. „Der Prinz der Dunkelheit fläzte sich mürrisch in seinem Sitz, als wäre er frustriert über den Mangel an Langeweile“, notierte der Guardian über Mourinho.
Der 57 Jahre alte Portugiese hat sich einen Ruf als Bösewicht des internationalen Fußballs erarbeitet mit seinem zynischen, defensiven und auf Zerstörung ausgelegten Fußball. Da konnte es ihm nicht passen, dass die Partie bei Aston Villa hin und her wogte wie ein wildes Durcheinander – mit teilweise absurden Fehlern und vielen Chancen auf beiden Seiten. Doch die Ironie besteht darin, dass solche Spiele mittlerweile charakteristisch geworden sind für Mourinhos Tottenham, das an diesem Mittwoch im Achtelfinal-Hinspiel der Champions League RB Leipzig empfängt.
20 Spiele der Nordlondoner hat der einstige „Special One“ seit seinem Amtsantritt als Nachfolger von Mauricio Pochettino Ende November beaufsichtigt, in 14 Partien davon gelangen beiden Mannschaften mindestens ein Tor, in sechs Spielen trafen beide Teams sogar jeweils mindestens zweimal. 3:2 ist ein Ergebnis der Mourinho-Spurs, das eben niemanden mehr verwundert. Unklar ist, ob dieser für den Trainer untypische Fußball geplant ist oder eher einer Mischung aus Zufällen, Verletzungspech und spielerischen Mängeln entspringt. Wahrscheinlicher ist die zweite Variante. Fest steht aber, dass der Champions-League-Finalist der Vorsaison damit Erfolg hat.
Seit dem Trainerwechsel ist Tottenham in der Tabelle der Premier League geklettert, vom 14. auf den 5. Platz, der nach Manchester Citys Verbannung aus den internationalen Wettbewerben auch in der kommenden Saison wieder zur Teilnahme an der Königsklasse berechtigen würde. Nur der Tabellenführer und künftige Meister FC Liverpool hat seit José Mourinhos Ankunft im Norden der britischen Hauptstadt mehr Punkte geholt als die Spurs.
Sein bisher größter Sieg seit der Rückkehr in die Premier League gelang dem Trainer vor zweieinhalb Wochen gegen Manchester City und seinen alten Rivalen Pep Guardiola. Tottenham gewann 2:0, obwohl die Mannschaft über 90 Minuten klar unterlegen war und nur drei Schüsse abgab. Der Gegner brachte es immerhin auf 19 Versuche. In großen Partien vertraut Mourinho nach wie vor seinem destruktiven Ansatz.
Planbar ist der Erfolg allerdings nicht. Dafür hat der Trainer mit zu vielen Problemen zu kämpfen. Torjäger Harry Kane ist verletzt, Heung-min Son fällt wegen eines Armbruchs nun mehrere Wochen aus. Viele Spieler mussten zuletzt in ungewohnten Positionen spielen oder sind ausgelaugt. Regisseur Christian Eriksen wurde an Inter Mailand verkauft. Der Winter-Zugang Steven Bergwijn (kam aus Eindhoven) muss sich trotz hoffnungsvollem Start erst noch einfügen. Die alternden Verteidiger Jan Vertonghen und Toby Alderweireld sind unzuverlässig. Torwart Hugo Lloris ist gerade erst nach fast vier Monaten Pause aus dem Krankenstand zurückgekehrt. Mourinhos Mannschaft ist ein Flickenteppich. Oder, wie es der Trainer kürzlich selbst formulierte: „Es ist so, als würde man die Bettdecke nach oben ziehen und die Füße gucken unten raus. Und wenn man die Füße bedeckt, ist der halbe Oberkörper frei.“
Der Portugiese ist ein Meister der Selbstinszenierung, immer noch. Bei Tottenham ist er angetreten, um zu zeigen, dass er nach wie vor zu den besten Trainern gehört. Die Champions League ist seine Bühne. Hier hat er die Erfolge gefeiert, die sein Ansehen international befördert haben. Allerdings liegen sie eine Weile zurück. 2004 holte er den silbernen Henkelpokal mit dem FC Porto, 2010 mit Inter Mailand. Dass der Trainer zuletzt ein K.o.-Rundenspiel in der Königsklasse gewann, ist schon sechs Jahre her. Gegen Leipzig geht es für Mourinho um mehr als nur ums Weiterkommen.
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