: Riesling auf der Flucht
Der deutsche Wein hat in den letzten 25 Jahren enorm vom Klimawandel profitiert. Doch bald schon könnte dem Segen der Fluch folgen: Die Reben werden mehr Wasser brauchen, während es zugleich sommers trockener wird
Von Christoph Raffelt
Auch wenn es in Deutschland eine lange Weinbautradition gibt, so kann man doch nicht behaupten, dass das Land in der Mitte Europas für den Anbau von spät reifenden Gewächsen prädestiniert gewesen wäre. Entsprechend haben Winzer noch bis in die 1990er-Jahre hinein immer wieder Probleme gehabt, ihre Trauben je nach Art der Rebsorte und der Lage der Weinberge ausreifen zu lassen.
Doch seit 25 Jahren ist der Klimawandel in den deutschen Weinbergen angekommen. Dieser Wandel war für jene, die mit den hochsensiblen Rankengewächsen arbeiten, viel früher spürbar als für die Allgemeinheit. Konnten sich Winzer und Weinliebhaber vordem unter zehn Jahrgängen im besten Fall über zwei sehr gute Jahrgänge mit voll ausgereiften, gesunden Trauben freuen, kann man heute kaum noch von schlechten Jahrgängen sprechen.
Das Profitieren vom Klimawandel kann jedoch sehr kurz sein. Die letzten Sommer bedeuteten immer mehr Trockenstress für die Weinreben. Auch wenn alte Rebstöcke, die sehr tief im Erdreich wurzeln, mit Trockenheit weit besser zurechtkommen als etwa Getreide und einjährige Pflanzen, wird Trockenheit auch im Weinbau zunehmend zu einem Problem.
Die Pfalz, in der man immer glaubte, genügend Wasser zu haben, ist dafür ein Beispiel. Dort konnten gebietsweise die Rebstöcke im letzten Sommer nicht mehr hinreichend mit Wasser versorgt werden. Und Wasser ist entscheidend, schließlich werden rund 800 Liter benötigt, um einen Liter Wein zu erzeugen.
Es ist aber nicht nur die Trockenheit, die den Winzern schon jetzt zu schaffen macht. Starkregen, der die Oberböden wegspült, gibt es immer häufiger, ebenso Hagel und auch Windhosen. Eine davon hat im Sommer 2019 Schäden in Weinbergen der Pfalz angerichtet.
Die Fachleute der Hochschule Geisenheim, die seit Jahrzehnten den Klimawandel im Weinbau verfolgen, sehen jedoch noch ganz andere Herausforderungen. Die CO2-Werte in den Weinbergen sind jetzt schon herausfordernd für die Reben. Simulationsmodelle für 2050 gehen davon aus, dass die Reben mehr Wasser benötigen werden, um die hohen CO2-Werte verarbeiten zu können, und das entsprechende Wasser wird vielleicht nicht mehr vorhanden sein. Zudem wird der von Hefen verwertbare Stickstoff im Traubenmost immer geringer.
Was dem Team um den Präsidenten der Forschungsanstalt, Hans Reiner Schultz, aber noch viel mehr Sorgen bereitet, ist die Schnelligkeit des Wandels. So entsprechen die Daten, die der heiße Jahrgang 2018 geliefert hat, einem Simulationsmodel, das man 2010 für das Jahr 2050 erwartet hatte. Auf die Wärme reagieren zudem nicht nur die Pflanzen, sondern auch die Schädlinge. Neue Arten tauchen in den Weinbergen zusätzlich auf, oder die Schädlinge verkürzen ihre Zyklen und pflanzen sich schneller fort.
Der Weinbau wird sich gleichfalls schneller verändern, als viele erwartet haben. Noch kann man mit anderen Anbaumethoden auf den Wandel reagieren, und wahrscheinlich ist, dass es in Deutschland in Zukunft immer mehr Rebsorten geben wird, die man heute etwa in Südfrankreich findet.
Sensible Sorten wie der Spätburgunder verfügen hingegen nur über einen sehr begrenzten thermischen Toleranzbereich. Man kann daher davon ausgehen, dass sie mit der Zeit – zumindest im Spitzenweinbau – aus Regionen wie Baden-Württemberg verschwinden.
Schon jetzt macht aus Deutschland stammender Syrah, Viognier oder Cabernet von sich reden, während man den ersten Riesling und Frühburgunder in Dänemark, Schweden und selbst in Norwegen antrifft. Die Weinwanderung nach Norden hat also schon begonnen.
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