Urteil gegen katalanischen Politiker: Vaterland oder Rechtsstaat
Oriol Junqueras darf nicht ins Europaparlament. Spaniens oberstes Gericht stellt sich damit offen gegen Europa.
S paniens Justiz legt sich offen mit Europa an. Der ehemalige katalanische Vize-Regierungschef Oriol Junqueras, der seit über zwei Jahren im Gefängnis sitzt und im vergangenen Oktober zu 13 Jahren Haft verurteilt wurde, darf laut einer Entscheidung des obersten spanischen Gerichts seinen Sitz im Europaparlament nicht einnehmen. Und das, obwohl der EuGH beschied, dass Junqueras im Mai, als er in Untersuchungshaft saß, rechtmäßig gewählt wurde und eigentlich seither Immunität genießt.
Spanien verspielt mit dieser Entscheidung einen weiteren Teil des Rufs, ein demokratischer Rechtsstaat zu sein. Das Urteil selbst – das gegen den immunen Junqueras eigentlich gar nicht hätte gefällt werden können – ist schon äußerst fragwürdig. Junqueras und mit ihm acht weitere Unabhängigkeitspolitiker und -aktivisten wurden wegen „Aufruhr“ verurteilt. Ihr Vergehen: Sie stellten Urnen auf, um die Katalanen darüber entscheiden zu lassen, ob sie weiterhin zu Spanien gehören oder unabhängig sein wollen. Alles verlief völlig friedlich, von den harten Polizeieinsätzen einmal abgesehen.
Dass diese Vorwürfe nicht mit europäischen Rechtsstandards kompatibel sind, zeigt die Ablehnung von mehreren Auslieferungsanträgen gegen Junqueras’ einstigen Chef in der katalanischen Regierung, Carles Puigdemont. Er und zwei weitere Minister leben im Ausland. Weder die belgische noch die schottische oder die deutsche Justiz leistete dem Auslieferungsgesuch der spanischen Richter Folge. Internationale Prozessbeobachter, unter ihnen Amnesty International, beklagten ebenfalls, dass das Verfahren, bei dem Junqueras verurteilt wurde, ein schwerer Verstoß gegen Demonstrations- und Meinungsfreiheit war.
Die obersten Richter Spaniens scheint all dies nicht zu stören. Sie machen einfach weiter. Das völlig veraltete Konzept eines einheitlichen und großen Spaniens, wie es einst in der Franco-Diktatur gepriesen wurde, scheint für sie über Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu stehen. Sie verspielen damit das Ansehen Spaniens, das in mehr als 40 Jahren mühsam erarbeitet worden war.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grundsatzpapier des Finanzministers
Lindner setzt die Säge an die Ampel und an die Klimapolitik
Höfliche Anrede
Siez mich nicht so an
Bundestag reagiert spät auf Hamas-Terror
Durchbruch bei Verhandlungen zu Antisemitismusresolution
US-Präsidentschaftswahl
50 Gründe, die USA zu lieben
Kritik an Antisemitismus-Resolution
So kann man Antisemitismus nicht bekämpfen
Klimaziele der EU in weiter Ferne
Neue Klimaklage gegen Bundesregierung