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Scheidung: Bei wem bleiben die Kinder?

Ein Verfahrensbeistand soll die Interessen der Kinder vertreten und dem Familiengericht eine Empfehlung schreiben. Nicht immer fällt diese nach dem Wunsch der Kinder aus

Ein Hochzeitsfoto ist schnell zerrissen. Sind auch Kinder da, wird es schnell kompliziert Foto: Patrck Pleul/dpa

Von Joachim Göres

121.000 Kinder und Jugendliche waren im vergangenen Jahr in Deutschland von der Scheidung ihrer Eltern betroffen. Bei wem bleiben sie – eine Frage, bei der sich die Erwachsenen oft nicht einigen können. Dann muss das Familiengericht entscheiden. Es beauftragt in solchen Konflikten einen Verfahrensbeistand, die Interessen von Minderjährigen zu vertreten.

Der Celler Rechtsanwalt Carsten Brambusch ist seit rund zehn Jahren in dieser Funktion tätig. Er spricht mit einem Kind oder einem Jugendlichen unter vier Augen über dessen Vorstellungen und Wünsche, redet auch mit den Eltern einzeln und macht manchmal auch Hausbesuche. Der 51-Jährige empfiehlt dann in einer schriftlichen Stellungnahme, was in seinen Augen für das Mädchen oder den Jungen das Beste wäre. Die Entscheidung trifft das Gericht.

Wer hat zu Hause Zeit für dich? Was ist gut bei Mama, was ist gut bei Papa? Was könnten sie besser machen? Was hast du für Ideen, wie es nach der Trennung deiner Eltern für dich weitergehen soll? Dies und vieles mehr spricht Brambusch an. Dabei macht er deutlich, dass letztlich Erwachsene darüber bestimmen werden und nicht dem Kind die Verantwortung für diesen weitreichenden Beschluss zugeschoben wird. Selten ist ein Kind so verschüchtert, dass es gar nichts sagt.

„Ich möchte bei beiden bleiben“, ist ein Wunsch, den der Fachanwalt für Familienrecht oft hört. „Ich stelle die Kinder nicht vor die Wahl: Mutter oder Vater, ich will sie nicht in einen Loyalitätskonflikt bringen. Bei Jüngeren achte ich verstärkt auf die Wortwahl – antworten sie spontan und altersgemäß oder wiederholen sie nur angestrengt Formulierungen, die ich auch von der Mutter oder dem Vater höre“, sagt Brambusch. Hat er den Eindruck, dass ein Elternteil seinem Nachwuchs aufgetragen hat, was es zu sagen habe, fragt er nach: „‚Du guckst mich so traurig an. Meinst du es wirklich so?‘ Nicht selten zeigen dann Kinder, dass sie gar nicht so sicher sind, wie sie zuvor getan haben.“ Die enge Bindung zur Mutter oder zum Vater, das Zusammenbleiben mit den Geschwistern, der Erhalt des gewohnten Umfeldes mit den alten Freunden, der Besuch der bisherigen Schule, ein eigenes Zimmer – alles Punkte, die bei den Überlegungen der Kinder eine Rolle spielen. „Es kann aber auch sein, dass ich etwas gegen ihren Wunsch empfehle, wenn zum Beispiel die ausreichende Betreuung durch einen Elternteil nicht gesichert ist. Bei Jugendlichen sollte dagegen ihr Wunsch entscheidend sein“, betont Brambusch. Sein oberstes Ziel bleibt, im Interesse der Kinder die Eltern zu einer Einigung zu bewegen: „Für Kinder ist es einfacher, wenn es keine Verlierer und Gewinner gibt und sie wissen, dass Mama und Papa zusammen eine Lösung für ihre Zukunft gefunden haben. Die meisten Verfahren enden durch eine Vereinbarung.“

Brambusch hat nicht nur mit Sorgerechtsstreitigkeiten zu tun, sondern auch mit Verdachtsfällen auf Kindeswohlgefährdung – wenn es Hinweise gibt, dass Kinder in ihrer Familie vernachlässigt, geschlagen oder sexuell missbraucht werden. Auch dann soll er als Verfahrensbeistand die Interessen des betroffenen Kindes vertreten. „In den Gesprächen mit ihnen zeigt sich immer wieder, dass sie nicht von Mutter und Vater getrennt werden wollen und das Fehlverhalten der Eltern sogar rechtfertigen. Das objektive Kindeswohl steht dem oft entgegen“, sagt Brambusch.

Familiengerichte können grundsätzlich jeden Erwachsenen als Verfahrensbeistand bestellen. Häufig werden Sozialpädagogen ausgewählt, das Familiengericht Celle bevorzugt dagegen Juristen. Für Brambusch, selbst Vater eines Sohnes, kein Problem: „Das Jugendamt ist ja an solchen Verfahren immer beteiligt und soll eine Empfehlung aus pädagogischer Sicht abgeben, die im Gegensatz zu meiner stehen kann.“ Manchmal fordere das Familiengericht vor einer Entscheidung auch noch ein kinderpsychologisches Gutachten an. Hier setzt die Kritik des Psychologen Uwe Tewes an. Der ehemalige Leiter der Abteilung Medizinische Psychologie an der Medizinischen Hochschule Hannover spricht von einer „sekundären Kindeswohlgefährdung“ durch eine Vielzahl von Beteiligten an einem familienrechtlichen Verfahren wie Gutachter, Jugendamtsmitarbeiter, Verfahrensbeistände, Mediatoren sowie Erziehungs- und Familienberater, denen gegenüber sich Kinder erklären müssen, nicht selten gegen ihren Willen. Dies führe zu einer Belastung der Kinder und damit verbundenen Auffälligkeiten, die ausschließlich auf das Verfahren und nicht das Verhalten der Eltern zurückzuführen seien.

„Häufig werden schwierige Fälle durch gerichtliche Auflagen in gerichtsferneren Betreuungs-, Beratungs- und Vermittlungssystemen geparkt. Dies entlastet möglicherweise nur das Gericht, führt auf jeden Fall aber zu zeitlichen Verzögerungen, durch die unter Umständen neue Fakten geschaffen werden“, so Tewes, der hinzufügt: „Hier kann es durch geschickt agierende Eltern zu einer Instrumentalisierung konkurrierender Professionen kommen.“

Um sich nicht gegeneinander ausspielen zu lassen, fordert Tewes, ehemals Professor der Uni Lüneburg und Autor des Buches „Psychologie im Familienrecht – zum Nutzen oder Schaden des Kindes?“, eine engere Kooperation zwischen den an einem Familienverfahren beteiligten Stellen. Zudem sei eine bessere Fortbildung nötig, um sich über Entwicklungen in anderen Fachgebieten zu informieren.

Im Januar bestellen die Familiengerichte übrigens besonders viele Verfahrensbeistände – das Weihnachtsfest ist häufig der Auslöser für handfeste Familienstreitigkeiten und Trennungen.