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Ein Appel und ein Ei

Karl-Heinz Ruch wollte 1991 die ostdeutsche Tageszeitung „Junge Welt“ kaufen. Aber das Geschäft kam nicht zustande. Es war einfach zu wenig Zuneigung im Spiel

Von Jens König

Kalle wollte mich mal kaufen. Er dachte tatsächlich, dass das funktioniert, obwohl sein Angebot, sagen wir mal so, sehr taz-mäßig daherkam. Bescheiden, was die Finanzen betrifft. Aber das mit ganz großer Geste. Kalle bot mir keine einzige D-Mark. Sondern angeblichen strategischen Weitblick. Das musste zwangsläufig scheitern. Die Zeiten waren damals so.

Der Brief von Karl-Heinz Ruch ist datiert vom 22. März 1991 und ein offizielles Übernahmeangebot an die Junge Welt – eine ostdeutsche Tageszeitung, die in der DDR im propagandistischen Dienst der FDJ gestanden hatte, sich nach der Wende im Herbst 1989 samt ihrer Millionenauflage von der FDJ lossagte und als linkes, unabhängiges Projekt in die journalistische Freiheit aufmachte.

Kalle war damals taz-Geschäftsführer mit langjähriger Erfahrung, ich eben erst von der Redaktion gewählter Chefredakteur der Jungen Welt, gerade mal 27 Jahre alt. Er Westler, ich Ostler. Die Kräfteverhältnisse zu jener Zeit waren scheinbar klar. Der Westen hatte ja bereits den ganzen Osten übernommen. Das nannte sich deutsche Einheit. Kalle dachte damals nicht anders als die meisten Westdeutschen. Der Osten erschien ihm als interessanter Markt für das eigene Produkt.

Kalles Brief war an den Leiter des Verlages Junge Welt, meinen Chef, sowie einen Manager der Treuhand, einen gewissen Herrn Fuhse, gerichtet. „Sehr geehrte Herren“, schrieb er. Wie es seine Art ist, verlor Kalle kein Wort zu viel. Auf nur zwei Seiten skizzierte er den Übernahme-Coup: Eine neu zu gründende Gesellschaft, natürlich im Besitz der taz, übernimmt die Junge Welt, stattet sie mit moderner Technik aus, garantiert Titel und redaktionelle Selbstständigkeit und übernimmt im Gegenzug sämtliche Abonnentenverträge. Mit dem kühlen Blick des taz-Geschäftsführers sah er voraus, dass „das Projekt den Bestand an vorhandenen Arbeitsplätzen nicht wird halten können“. Die neue Gesellschaft, schrieb Kalle, gehe davon aus, dass „40 redaktionelle Mitarbeiter für die Herstellung des Verlagsobjekts Junge Welt ausreichend sind und mehr nicht beschäftigt werden können“.

Das hätte für mehr als zwei Drittel der damals beschäftigten Junge-Welt-Mitarbeiter das Aus bedeutet. Aber Kalle war nicht sentimental. Er prognostizierte einen „weiteren dramatischen Aboverfall“: „Die langfristige Perspektive der JW ist wesentlich skeptischer zu beurteilen als die kurz- und mittelfristige.“ Er führte als Beweis die Erfahrungen der taz ins Feld. Diese würden zeigen, dass „die dauerhafte Etablierung einer überregionalen Tageszeitung wegen objektiv ungünstiger Voraussetzungen extrem schwierig ist“. Dabei sah er die taz noch im Vorteil: Sie wende sich „mit schweren Inhalten und hohem Preis (1,50 DM) an eine Zielgruppe, die sich durch hohen Bildungsstand (85 Prozent Abitur oder Hochschulabschluss) und hohes Einkommen (46,8 Prozent über 4.000 DM Haushaltsnettoeinkommen)“ auszeichne. „Dieses Milieu […] ist in der ehemaligen DDR so nicht vorhanden.“

Nein, das war kein Liebesbrief, auch kein Bewerbungsschreiben für eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe. Es war ein ehrliches, nüchternes Kaufangebot, das der taz auf lange Sicht den Osten als Vertriebsgebiet erschließen sollte. Und kosten sollte das Ganze natürlich auch so gut wie nichts, Kalle stand schließlich der klammen taz vor.

Nein, das war kein Liebesbrief, auch kein Bewerbungs-schreiben für eine Zusammen-arbeit auf Augenhöhe. Es war ein ehrliches, nüchternes Kaufangebot. Und kosten sollte das Ganze natürlich auch so gut wie nichts

Unter Punkt 5 f des Briefes schlug er eine kaum zu entschlüsselnde Berechnung des Kaufpreises für die Junge Welt vor, bei der erst drei Jahre nach Übernahme ein Ertragswert ermittelt werden sollte, der sich aus dem Ist-Jahresüberschuss von Ertragssteuern im Geschäftsjahr 1994 und dem prognostizierten Jahresüberschuss von Ertragssteuern im Geschäftsjahr 1995 multipliziert mit dem Faktor 3,5 … und so weiter und so weiter. Wir waren zwar Ostler, aber nicht blöd: Das lief in etwa auf einen Appel und ein Ei als Preis hinaus. Deutsche Einheit eben.

Nun ja, was soll ich sagen: Das Geschäft kam nicht zustande. Es war einfach zu wenig Zuneigung im Spiel. Kalle hatte unterschätzt, wie abschreckend das rüde Ende der Ost-taz im Jahr 1990 auf junge, selbstbewusste Ostdeutsche gewirkt hatte. Und dass kühle Rechnereien in Briefform das falsche Signal für einen Aufbruch in neue Zeiten waren. Andere hatten sich da viel mehr ins Zeug gelegt. Schließlich waren damals alle westdeutschen Verlage auf Beutezug im Osten unterwegs: Viele sicherten sich die später hochprofitablen ehemaligen Bezirkszeitungen der SED von der Ostsee-Zeitung in Rostock bis zur Freien Presse in Chemnitz. Uns junge Ostler von der Jungen Welt hatte Gerd Schulte-Hillen, Chef von Gruner + Jahr, in einen feinen Alster-Club in Hamburg eingeladen und erzählt, wie er am Abend der Maueröffnung vor Rührung vorm Fernseher weinen musste. Davon haben wir uns zwar auch nicht über den Tisch ziehen lassen, aber die ernst gemeinten Emotionen wärmten uns wenigstens das Herz.

Kalle hatte sich mit uns nicht ein einziges Mal persönlich getroffen. Sein Brief im März 1991 endete mit den Worten: „Als Ansprechpartner stehen Ihnen in den folgenden zwei Wochen zur Verfügung: Rechtsanwalt Johannes Eisenberg und in der Redaktion der taz Klaus Wolschner.“ Angefügt waren Telefon- und Faxnummer. Ich habe sie nie gewählt.

Jens König war von 1989 bis 1994 Chefredakteur der Jungen Welt. Er kam dann doch noch mit Kalle zusammen: Er wechselte zur taz und arbeitete dort knapp 15 Jahre. Heute ist er Stern-Korrespondent in New York.

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