: Koalitionssuche: Jetzt ist die Knesset dran
Die Israelis müssen wohl zum dritten Mal in diesem Jahr neu wählen. Premier Netanjahu wird angeklagt
Aus Tel Aviv Judith Poppe
Israels Premier Benjamin Netanjahu muss sich vor Gericht wegen Untreue und Bestechlichkeit verantworten. Das teilte das Justizministerium am Donnerstag mit. Rechtlich gesehen muss er als Regierungschef nicht zurücktreten. Gleichzeitig sind zum ersten Mal in der Geschichte Israels zwei Versuche, eine Regierung zu bilden, gescheitert. Nun liegt der Ball in der Knesset. Jedes Parlamentsmitglied kann ihn in den kommenden drei Wochen aufnehmen und versuchen, 61 Abgeordnete hinter sich zu versammeln. Sollte es niemandem gelingen, muss innerhalb von 90 Tagen erneut gewählt werden.
Nachdem infolge der Parlamentswahl im September Benjamin Netanjahu (Likud) an der Regierungsbildung scheiterte, hat am Mittwochabend auch sein Herausforderer Benny Gantz (Blau-Weiß) das Handtuch geworfen. Seine Frist wäre ohnehin um Mitternacht ausgelaufen. Bis zuletzt konnten sich Netanjahu und Gantz nicht auf eine Einheitsregierung aus Likud und Blau-Weiß einigen. Gantz hatte sich wegen der Korruptionsvorwürfe gegen Netanjahu geweigert, einer Regierung unter Netanjahu beizutreten. Netanjahu wiederum bestand im Fall eines Rotationsprinzips darauf, als erster Ministerpräsident zu werden. Außerdem weigerte er sich, für die Verhandlungen seinen rechtsreligiösen Block aufzulösen.
Die Alternative zu einer Einheitsregierung ist nicht zuletzt an der fehlenden Unterstützung Liebermans gescheitert: eine Minderheitsregierung von Blau-Weiß, Liebermans rechter Partei Israel Beitenu und den linksliberalen Parteien Gesher-Avoda und Meretz, unterstützt von der arabischen Vereinten Liste. Stimmungsmache gegen die Minderheitsregierung, allen voran seitens Netanjahus, hatte eine solche Konstellation zuletzt noch erschwert. Vor wenigen Tagen warnte Netanjahu, dass die Vereinte Liste Israel zerstören wolle.
Die möglichen Szenarien sind nun nach wie vor eine Einheitsregierung von Likud und Blau-Weiß, ein Mitte-Links-Bündnis mit einigen Likud-Abtrünnigen und eine rechte Regierung mit Unterstützung Liebermans.
Neue Entwicklungen könnte eine Meuterei innerhalb des Likud bringen. Gideon Sa’ar, der als interner Konkurrent Netanjahus gilt, fordert eine parteiinterne Vorwahl. Er unterstütze „Netanjahus Bemühungen um eine Regierung, aber wenn dies nicht erfolgreich ist, so ist nicht klar, ob er dann beim nächsten Mal eine Regierung bilden kann“, erläuterte er. Netanjahu und der Vorsitzende des Likud-Wahlkomittees, Chaim Katz, sind gegen eine Vorwahl.
„In den nächsten drei Wochen kann alles passieren“, sagt der Politikwissenschaftler Yonatan Freeman von der Hebräischen Universität in Jerusalem. Der Druck, eine Einigung zu erzielen, steige. „Zwei Uhren ticken gerade einer Deadline entgegen.“ Während die eine Uhr auf eine drohende dritte Wahl zu ticke, ticke die zweite einer „möglichen Sicherheitssituation“ ohne stabile Regierung an den Grenzen entgegen. Erst vor einer Woche war die Situation zwischen Israel und Gaza erneut eskaliert.
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