: Sag niemals Vieh
Ein antipädagogisch-pädagogisches Weihnachtsgeschenk: die hübsche Geschichte vom Einhorn, das durch Abenteuer seine Komplettverweigerung überwindet
Von Benno Schirrmeister
Ganz so konsequent ist es dann doch nicht. Als der Waschbär, pardon, Was-Bär das Neinhorn fragt, ob er es begleiten darf, antwortet es doch tatsächlich: „MEINETWEGEN.“ Zum Glück bekommt das die Einhorn-Familie im Herzwald nicht mit. Denn die hatte es ja zunächst zur Weißglut getrieben, dann dazu, ihm den Namen zu ändern – und schließlich zur Verzweiflung, indem es auf sämtliche Fragen, Anregungen und Wünsche mit Negation reagiert: „‚Nein‘, sagte es zum Waschen, ‚Nein‘, zum Essen, ‚Nein‘, zur Schule, ‚Nein‘, zum Sport“, heißt es in Marc-Uwe Klings Bilderbuch „Das NEINhorn“ das gerade im Hamburger Carlsen-Verlag erschienen ist.
Klar, dass diese Dauer- und Komplettverweigerung keine Strafe oder schlimme Dinge nach sich zieht, sondern: Jepp, direkt in ein dolles Abenteuer mündet, nämlich den Aufbruch raus aus dem verkitschten Herzwald mit Zuckerwattewolken durchs Land der Träume nach Nirgendwo. Und dabei begegnet es eben nicht nur dem schwerhörigen WAAAS?-Bären sondern auch des Königs Doch!-Ter und dem NA-hUND?, die sich als ebenso bekloppte IndividualistInnen erweisen wie es selbst. Und den Weg mit ihm gemeinsam machen.
Eine lustige Geschichte ist das also, die der Känguru-Chronist da erzählt. Sie verschmilzt dabei mit fidelen und detailfreudigen Bildern von Astrid Henn, und weiß sich stilistisch einer genüsslichen Inkonsequenz verpflichtet: Erst wird gereimt und versmaßlos geknittelt, dann switcht die Erzählung in dialogisierte Prosa, die aber jederzeit wieder in ein paar Reime münden kann, ganz wie’s passt und beliebt.
Kinder ab 3 Jahren dürften sich riesig über dieses Buch freuen – auch wenn es ein bisschen nervt, dass Kling am Ende meint, herausstellen zu müssen, dass seine Geschichte keine Moral habe, obwohl doch viele Erwachsene fänden, „Kinderbücher sollten pädagogisch wertvoll sein“: Denn einerseits ist die Erzählung vom Neinhorn, das seinen Trotz aus Neugier überwindet, ja so was von pädagogisch wertvoll, dass es fast ein wenig peinlich ist: Bei Amazon ist es deshalb unter „Selbstwertgefühl für Kinder“ rubriziert und dort auf Platz 1 gelandet. Und zweitens: Sogar in Klings Jugend war die Kinderliteratur schon über „Die Häschenschule“ hinaus. Kann er sich ja mal vom Verlagslektorat zeigen lassen. Nee, die Pose ist doof, und man muss diesen Popanz echt nicht weiterbeatmen.
Aber man kann den Schlussabsatz ja ohne Verlust überspringen und direkt in den hübschen Anhang übergehen. Der besteht aus einer fabelhaften Tiergalerie vom Abär über den Gegenwurm bis zu Warummel und Willschwein. Und die regen die Fantasie von Eltern und Kindern garantiert an, sodass das Buch nicht nur diese eine aufgeschriebene, sondern Hunderte potenzielle Geschichten enthält. Man muss sie sich nur spontan ausdenken und dann drauflos erzählen.
Marc Uwe Kling, Astrid Henn: Das Neinhorn, Carlsen Hamburg, 48 Seiten, 13 Euro
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen