: Den Sound der Schafe hören
Franziska und Amelie Wetzlar wollten schon immer etwas mit Schafen zu tun haben. Weil große Wünsche manchmal in Erfüllung gehen, fanden die beiden zuerst sich – und dann auch die Tiere
Von Luciana Ferrando (Text) und Steffi Loos (Fotos)
Franziska und Amelie Wetzler leben mit ihren sechzig Schafen in Quappendorf, einem 80-Einwohner-Ort im Landkreis Märkisch-Oderland, 65 Kilometer von Berlin entfernt.
Draußen: „Freiheit aushalten“ steht auf dem Hoftor bei Franziska und Amelie Wetzler. Auf der Veranda, die zu den Feldern ausgerichtet ist, steht ein altes Sofa – „ein ranziges“, sagen sie. Dort trinken die beiden jeden Morgen zusammen Kaffee, bevor der Arbeitstag auf dem Milchhof „Pimpinelle“ beginnt. Die Hütehunde Mio und Ebba, „Familienmitglieder sind das“, sitzen bei ihnen. Von dort blicken die Frauen zum Stall, sie sehen die Obstbäume, den Hofladen, und den Wohnwagen, wo sie vor neun Jahren wohnten, während sie den frisch gekauften Hof Schritt für Schritt renovierten.
Drinnen: Im Wohnzimmer steht ein selbst gebastelte Schild: „Klimawandel stoppen! Sonst hier bald nur noch Käse vom Kamel“. Es riecht nach Brennholz vom Bullerjan-Ofen. Auf dem Tisch eine Kaffeekanne und Frischmilch vom Hof. Eine Hälfte der Küche renoviert, die andere nicht, wie bei Vorher-Nachher-Bildern. Das Schaf als Motiv allgegenwärtig, als Kühlschrankmagnet, als Wanduhr, als Kuscheltier. Die Regenbogenflagge, die Bilder, die am Buffetschrank kleben: Freund*innen, Kinder, Bilder von ihrer Hochzeit von 2017.
Eine Führung: Im Garten ist es noch grün und nass vom Regen. Die beiden Frauen zeigen die Stelle, wo Amelie die Schafe melkt, die Käserei, wo Franziska Workshops durchführt, die Fläche, wo der per Crowdfunding finanzierte neue Stall gebaut wird. Auf einer Wiese, neben einer Maisplantage weiden die 60 Schafe, die zum Hof gehören. Krainer Steinschafe und Ostfriesische Milchschafe. Jedes Tier hat einen eigenen Namen. Das erste Schaf nannten sie „Majoran“. Andere nach Kräutern benannte Tiere kamen hinzu. Mittlerweile gibt es auch welche mit Künstlerinnennamen. „Da hinten ist Frida“, sagt Amelie und zeigt auf ein Tier. Benannt nach Frida Kahlo. Sie können jedes einzelne Schaf erkennen.
Liebe: Als Amelie und Franziska gerade zugezogen waren in Quappendorf, gingen sie auf die Weihnachtsfeier des Dorfs. „Da fragte jemand: ‚Seid ihr Schwestern?‘ ‚Nein, Ehefrauen‘, sagten wir. Und der Mann sagte dann: ‚Ach, das geht ja heutzutage auch‘“, erzählt Franziska. „Am nächsten Tag gingen wir durch den Ort, jemand rief 'Ach ja, die Verliebte’ – und das war alles“. In Berlin, wo die beiden sich in einer WG kennengelernt hatten, hätten sie sich als Paar öfters unwohl und unsicherer gefühlt als in Brandenburg. „Hier lautet das Motto ‚Leben und leben lassen‘. Wir sind mit unserer Partnerschaft offensiv umgegangen und die Leute haben es so angenommen.“ Sie sagen, sie haben viele lesbische und schwule Freund*innen in der Gegend, die Community sei in der Region viel größer, als man denke.
Landliebe: „Wir sind aber eher agrarpolitisch aktiv“, sagt Amelie. Die jährliche „Wir haben es satt“-Demo sei ein Pflichttermin für die beiden. Das sei der einzige Grund – abgesehen von Lieferungen –, um nach Berlin zu fahren, sagen sie. Weder die Stadt noch das Stadtleben vermissen sie. Franziska sagt: „Ich hatte die Nase voll von Berlin.“ Amalie sagt, sie sei dort nie richtig angekommen.
Was ihnen fehlt? Na ja, vielleicht würden sie in Berlin öfter ins Kino gehen, meinen sie. Und sie müssten sich auch nicht so oft ins Auto setzen, um irgendwo hinzukommen. „Immerhin“, sagen sie, hätten sie auch hier eine Freundin, die sie zu Fuß erreichen können, und in einem der Nachbardörfer gibt es ein Kino, wo es Blockbuster und Programmkino gibt, und wo „schon ziemlich abgefahrenen Filmen gezeigt werden“, sagt Amelie.
Widersprüche: Wer im Dorf lebt, müsse damit klarkommen, dass Menschen sehr verschieden sind. „Man weiß, wer die AFD wählt und trotzdem redet man miteinander, man sieht sich ja vielleicht jeden Tag“, sagt Franziska. „Ich kann natürlich immer sagen: Da mache ich nicht mehr mit.“ Wer im Ökolandbau unterwegs sei, wisse, dass in dem Bereich „das ganze Spektrum zu finden ist, von ganz links bis ganz rechts“, sagt sie. Und doch denken Amelie und Franziska trotz der aktuellen politischen Lage, dass Brandenburg toleranter und offener wird. „Wir fühlen uns jedenfalls noch immer willkommen.“
Schafe: Geboren ist Amelie in München, Franziska in der Nähe von Freiburg. Beide sind oft umgezogen – als sie noch klein waren mit ihren Familien, später im Studium auch. Amelie hat Geografie und Franziska Soziologie studiert. „In Quappendorf wohnen wir bisher am längsten“, sagt Franziska. Beide waren auch schon immer in Schafe vernarrt. Dass sie jetzt Schafbäuerinnen sind, sei folgerichtig. Sie fingen mit drei Schafen an, heute sind es 60. Und sie sind froh, inzwischen von ihrem eigenen Betrieb leben zu können. Ihnen gehe es nicht ums Geld, sondern darum, etwas zur bewussten Ernährung beizutragen.
Arbeit: Franziska und Amelie Wetzlar sind keine Frühaufsteherinnen („um 7 Uhr reicht es“), denn sie wissen auch nie, wann der Arbeitstag zu Ende ist. Feierabend sei erst, wenn die Arbeit erledigt sei, sagt Franziska. Doch beide seien froh, dass sie die Freiheit haben, die Tage so zu gestalten, wie es ihnen am besten passt. „Auch wenn wir manchmal 14 Stunden am Tag arbeiten und kein Wochenende kennen“, sagen sie.
Erholung: Einmal im Jahr macht Franziskas Mutter „Schafsitting“, damit die Milchschäferinnen sich ein paar Tage erholen dürfen. Wenn sie Urlaub machen, fahren sie an Orte, wo es Schafe gibt und sie Käse probieren können. Um sich inspirieren zu lassen und „aus Neugier“, sagt Franziska. Sie ist diejenige, die sich der Käserei und dem Hofladen widmet, während sich Amelie um die Schafe kümmert. Sie unterstützen sich gegenseitig, aber die Aufgabe seien nach Leidenschaft klar getrennt. „So gibt es keinen Streit“, sagt Amelie und lacht.
Käse: Zukunftsmusik nennt Franziska die Käse, die noch keinen Namen haben. Das sei der Arbeitstitel, während sie in der Testphase sind und die Kunden des Hofladens ihr Feedback dazu geben können. „Dezenter, vielseitig, mit einem runden Geschmack“, so beschreibt Franziska die Schafmilch im Vergleich zur Kuhmilch, und mit jedem Wort macht sie klar, dass sie es liebt, in der Käserei zu arbeiten. Quark, Joghurt, Frischkäse und ebenso Fleisch und Pelzprodukte werden am Wochenende dort verkauft. Alles vom Tier wird verwendet, das sei ihnen wichtig.
Tiere: Bis zu neun Jahre kann ein Schaf alt werden. Für Franziska und vor allem für Amelie, die jeden Tag mit ihnen beschäftigt ist, sind Schafe ein Teil der Familie. Doch das Geschäft würde nicht funktionieren, wenn ihnen nicht klar wäre, dass sie trotzdem Nutztiere sind. „Wir müssen mit Veganer*innen nicht diskutieren, das sind andere Welten“, sagt sie. „Aber wir können dafür sorgen, dass die Tiere auf würdevolle Art und Weise gehen“, sagt Amelie. „Sie müssen gehen.“
Abschied: Wenn sie die Tiere zum Schlachthof begleitet, sei es am schwierigsten, die Schafe im letzte Moment allein mit dem Tod lassen zu müssen. Deswegen wird sie in der Zukunft die Genehmigung haben, um selber zu schlachten. „Das bin ich ihnen schuldig“, sagt sie. Sie möchte beim letzten Atemzug dabei sein, weil sie auch beim ersten dabei gewesen sei. Wenn die Lämmer zur Welt kommen, ist Amelie rund um die Uhr für sie da. Auf dem Nachttisch liegt ein „Schafofon“, das sie mit dem Stall verbindet. Mit dieser Soundkulisse schlafen sie ein.
Glück: Franziska sagt, sie sei glücklich, wenn sie etwas „Sinnvolles“ tue. „Gutes Essen, die Käserei betreuen, etwas Handwerkliches machen“, zählt sie auf. Amelie sagt: „Das Geräusch von kauenden Schafe ist für mich pures Glück.“
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