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Das Auslaufmodell

Der Boom der Shopping-Malls ist vorbei, der deutsche Markt scheint fürs Erste gesättigt. Grund genug für einen Rückblick auf die große Zeit einer Institution, die für ihre Kritiker nie mehr war als ein gesichts- und fensterloser Konsumtempel, für ihre Liebhaber dagegen ein zweites Wohnzimmer 43–45

Von Simone Schnase

Sie sind die Hölle für Agoraphobiker, Raucher und chronisch erkältete Menschen: Shopping-Malls. Im permanenten Kunstlicht der fensterlosen Einkaufs-Center weiß niemand, ob grad Tag oder Nacht ist, die klimatisierte Luft ist knapp, die Ein- beziehungsweise Ausgänge sind nie dort, wo man sie vermutet. Niemals siedeln sich kleine, unabhängige Einzelhändler in Shopping-Malls an – immer bloß die gleichen Ketten.

Verlässt man kurz die Mall, um frische Luft oder Nikotin zu tanken, findet man garantiert erst nach einer halben Stunde zurück zu H&M oder New Yorker oder Primark, wo man eigentlich in zehn Minuten mit seiner Einkaufsbegleitung verabredet war. Auf dem Handy Bescheid zu sagen, dass man sich verlaufen hat, ist aber nicht möglich: Kein Empfang trotz groß beworbenem Free-Wi-Fi. Und am Ende der Shoppingtour wird dann das Auto gesucht, weil man vergessen hat, wo genau es steht auf dem ungefähr 10.000 Quadratmeter großen Parkplatz.

Für andere sind Malls ein Paradies: Kein endloses Latschen bei Dauerregen durch Fußgängerzonen oder andere Einkaufsstraßen, sondern alles an einem Ort, Shop an Shop. Von Klamotten über Bücher und Handys bis hin zu Lebensmitteln und Blumen gibt es alles – auch Cafés und Restaurants und Klos und Bänke zum Ausruhen. Manchmal ist sogar eine Bibliothek oder das Stadtteilbüro dort angesiedelt. Jugendliche treffen sich dort genauso wie ältere Menschen, um zu schnacken und sich das bunte Treiben anzusehen. Andere wiederum flanieren durch Malls, um gesehen zu werden.

Weltweit sind Filmemacher fasziniert von den unwirklichen Kulissen der Malls und Kinder sind, gerade jetzt zur Weihnachtszeit, entzückt von der glitzernden Dekoration und den zahlreichen Weihnachtsaktionen, die in Wahrheit zwar nur dazu dienen, die Erwachsenen zum Einkaufen zu animieren, aber das wissen die Kleinen ja noch nicht.

Egal, ob man sie hasst oder liebt: Die große Zeit der Zentren scheint vorbei zu sein. Malls wie das 2013 eröffnete Shoppingcenter MEP im emsländischen Meppen zeichnen sich vor allem durch Leerstand aus. Und im September sagte Alexander Otto in einem Interview mit „Zeit online“, dass es sich nicht mehr lohne, eine Mall zu bauen. Otto muss es wissen: Er ist der jüngste Sohn des gleichnamigen, berühmten Hamburger Versandhausgründers und Chef des Unternehmens ECE, dem deutschlandweit über 100 Shoppingcenter gehören. ECE, sagte er, habe entschieden, „in Deutschland keine neuen Einkaufszentren zu entwickeln, wir wollen lieber unsere bestehenden Center weiter verbessern und sicherstellen, dass es dort den optimalen Kundenservice gibt“.

Grund für das Interview mit Otto: Der ECE-Konkurrent Unibail-Rodamco-Westfield plant in Hamburg das größte Shoppingcenter der Stadt, mitten in der Hafencity. Otto prophezeit ihm keine sonderlich glorreiche Zukunft: „Um es mal vorsichtig zu formulieren: Die meisten Händler in Deutschland sind derzeit nicht auf Expansionskurs. Deshalb ist es, egal wie großartig das Projekt ist, derzeit ziemlich schwierig, ein neues Center im deutschen Markt zu etablieren“, sagte er.

Deswegen hat ECE auch bereits vor Jahren unter anderem seinen Plan, in Osnabrück ein Shoppingcenter zu errichten, wieder aufgegeben. Sein Nachfolger wurde dann exakt jener Investor, der nun in der Hafencity baut: Unibail-Rodamco-Westfield. Große Pläne hatte der für das wohl schäbigste Areal, das eine norddeutsche Großstadt derzeit aufzuweisen hat: den Neumarkt.

Der ist sowohl zentraler Busbahnhof Osnabrücks als auch Verkehrsknotenpunkt und bildet eine harte Grenze zwischen der Fußgängerzone und der Johannisstraße, die eigentlich ebenfalls eine Einkaufsstraße sein sollte – bloß haben sich die dortigen Einzelhändler einst gegen das Prinzip Fußgängerzone ausgesprochen. Das hat zur Folge, dass sich die einkaufenden Menschenmassen selten über den Neumarkt in die Johannisstraße bewegen. Sie nutzen den Neumarkt, um in den Bus nach Hause zu steigen. Und die Johannisstraße verödet.

Verlässt man die Mall, um Nikotin zu tanken, findet man garantiert erst nach einer halben Stunde zurück zu H&M

Das sollte sich ändern: Unibail-Rodamco-Westfield plante ein Shoppingcenter, das vereinen sollte, was bisher getrennt war. Dafür wurde der Neumarkt von rechts auf links gedreht, alte Kaufhäuser und Bürokomplexe geräumt und ehemalige Fußgängerunterführungen entkernt und zugeschüttet. Die großen, leeren, vor sich hin gammelnden Gebäude, die Dauerbaustelle, das aufgerissene Straßenpflaster, die immer wieder woanders angelegten Not-Bushaltestellen und die provisorisch auf dem kaputten Asphalt aufgemalten Straßenspuren verwandeln nun schon seit Jahren den Neumarkt und die Johannisstraße in etwas, das man problemlos ansiedeln könnte in einer verlassenen, postsowjetischen Industriestadt – aber ganz sicher nicht in die Mitte Osnabrücks.

Das Schlimmste ist: Dieser Zustand wird sich wohl so schnell nicht ändern, denn nun hat Unibail-Rodamco-Westfield das Gleiche verkündet wie zuvor bereits ECE: Auch dieser Investor wird in Osnabrück kein Shoppingcenter bauen. Die Planungen für das Einkaufszentrum mit rund 16.500 Quadratmetern Verkaufsfläche sind eingestellt. Hintergrund seien „die steigenden Kosten am überhitzten deutschen und europäischen Baumarkt“.

Auch Osnabrücks Oberbürgermeister Wolfgang Griesert (CDU) sagte, die Baupreise seien „in einer Weise explodiert, dass eine Refinanzierung durch die Mieten im Center nicht mehr zu erwarten“ sei. Das Unternehmen strebe nun an, auf den Grundstücken „eine gemischt genutzte Immobilie“ zu entwickeln. Und so eine Entwicklung kann bekanntermaßen dauern.

Warum der gleiche Investor angesichts dessen allerdings in der ungleich teureren Hamburger Hafencity Chancen für ein neues Mega-Shoppingcenter sieht, wird wohl sein Geheimnis bleiben.

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