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heute in bremen„Nüchtern sein hat sich scheiße angefühlt“

Foto: Ramon Diehl

Sick, 46, ehemaliger Drogenabhängiger und Krimineller, heute als Buchautor und in der Drogenprävention tätig.

Interview David Siegmund-Schultze

taz: Sick, du warst jahrzehntelang drogenabhängig, hast es geschafft, clean zu werden und gibst heute Seminare an Schulen. Was kannst du Jugendlichen mitgeben?

Sick: Vor allem, was ich über mich selber gelernt habe. Ich habe viele Jahre im Nebel verbracht und kam nicht damit zurecht, wie ich mich gefühlt habe. Das Heroin hat mir geholfen, auf Knopfdruck alle negativen Emotionen auszuschalten. Wenn ich heute in einer zehnten Klasse bin, hat die Mehrheit der Schüler*innen bereits Erfahrungen mit Drogen, meistens Alkohol und Cannabis. Denen kann ich mitgeben, dass es das Wichtigste ist, den Mund aufzumachen, wenn man sich schlecht fühlt. Und, was mein Schlüssel dafür war, von der Sucht wegzukommen: die eigenen Emotionen nicht mehr zu ignorieren oder wegzudrücken. Da hatte ich drei Jahrzehnte unausgesprochener Gefühle aufzuarbeiten.

Hat, um von der Sucht loszukommen, auch die Geburt deiner Tochter eine Rolle gespielt?

Natürlich, das war ein Wendepunkt. Aber von der Geburt 2003 bis etwa 2012 war es noch ein ständiger Kampf. Ich war bestimmt zehn oder zwölf Mal freiwillig in der Entgiftung, bin aber immer wieder rückfällig geworden. Bis zu dem Zeitpunkt war das nur ein Aushalten, und das Nüchtern-Sein hat sich scheiße angefühlt.

Und 2012 hat dann die You-Tube-Serie „Shore, Stein, Papier“ angefangen, in der du von deinem Leben erzählst…?

Genau, ich wurde gerade aus der Entgiftung entlassen und dann kam der Anruf, dass Interesse an einer Serie bestünde. Bis dahin wusste ich nichts mit mir anzufangen, und plötzlich konnte ich einer sinnvollen Tätigkeit nachgehen. Das war meine Rettung. Ich habe so richtig die Hose runter gelassen und alles erzählt. Darunter vieles, was ich auch selber schon ganz weit weg gedrängt hatte.

Du sagst oft, dass Drogensucht eine lebenslange Diagnose ist. Wie schaffst du es heutzutage, dem Suchtdruck standzuhalten?

Lesung und Bühnenprogramm von Sick zu seinem Buch „Shore, Stein, Papier“, Modernes, 20 Uhr

Das Wichtigste ist immer noch die ständige Auseinandersetzung mit mir selbst: zu lernen, wie ich meine Gefühle kontrollieren kann. Außerdem hält mich meine Arbeit clean: an Schulen die Tiefpunkte meines Lebens hochzuhalten. Dadurch werde ich immer wieder mit meiner Vergangenheit konfrontiert.

Wird dir das nicht irgendwann zu viel, ständig von deiner Vergangenheit zu erzählen?

Eigentlich nicht, das Erzählen aus der Vergangenheit zementiert ja meine Zukunft. Mir hilft das, und es fühlt sich gut an. Vielleicht kann man das mit dem Opa vergleichen, der immer dieselben Geschichten vom Krieg erzählt. Das wird dem ja auch nicht langweilig. Und weil mein Publikum wechselt, nerve ich auch niemanden damit.

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