: Eine unsoziale Branche
Die Sozialwirtschaft in Bremen beschäftigt mittlerweile fast so viele Menschen wie die Metall-, Elektro- und Stahlindustrie. Bezahlung und Arbeits-bedingungen werden allerdings immer mieser
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VonSimone Schnase
Keine Branche in Bremen wächst so rasant wie die Sozialwirtschaft. Das zeigt eine neue Studie, die das Institut Arbeit und Wirtschaft (IAW) der Uni Bremen im Auftrag der Arbeitnehmerkammer durchgeführt hat. Sie zeigt aber auch: Die Zahl der Teilzeit- und Minijobs ist in diesem Sektor ebenfalls gestiegen und die Einkommen sind unterdurchschnittlich.
Zu den Beschäftigungsfeldern der Sozialwirtschaft gehören Kitas und Jugendhäuser, Einrichtungen der Altenpflege und Behindertenhilfe, die Migrations- und Flüchtlingsarbeit sowie als größter Bereich das Gesundheitswesen, wobei die meisten der hier Beschäftigten in Krankenhäusern arbeiten. Auch sozialpädagogisches Personal in Schulen und an Hochschulen und Personal in der Schuldnerberatung und Wohnungslosenhilfe gehört dazu.
Die Zahl der ArbeitnehmerInnen in der Sozialwirtschaft ist laut IAW im Land Bremen in den vergangenen zehn Jahren um 25 Prozent auf 41.200 gestiegen, das sind fast so viele wie in der Elektro-, Metall- und Stahlindustrie zusammen; dort arbeiten knapp 43.800 Menschen. Zum Vergleich: Im Baugewerbe arbeiten 13.256 Menschen, im Gastgewerbe 10.060.
Dass die Branche so stark gewachsen ist, liegt laut Studie vor allem an den ausgebauten Betreuungsangeboten in Kitas und Schulen, Inklusion, vermehrter Sprachförderung für Einheimische und Zugewanderte, wachsenden Beratungsangeboten und Integrationsmaßnahmen für Zugewanderte.
Dieser „Jobmotor“ hat allerdings eine unschöne Kehrseite, denn der steigende Kostendruck durch schlechte Refinanzierung wirkt sich gravierend auf die Arbeitsbedingungen und Verdienste aus: Der ohnehin hohe Anteil von Teilzeitbeschäftigten in der Sozialwirtschaft ist in den letzten zehn Jahren von 34 auf 57 Prozent gestiegen. Über zehn Prozent der Beschäftigten – drei Viertel von ihnen Frauen – arbeiten in Minijobs, die Einkommen liegen unter dem Durchschnitt. Viele Beschäftigte verweisen in der Studie zudem auf die hohe Arbeitsintensität und beträchtliche Personalengpässe.
Aufgrund des Fachkräftemangels ist die Zahl der offenen Stellen in der Sozialwirtschaft deutlich angestiegen. So kommen auf einen Arbeitssuchenden in der Altenpflege vier offene Stellen, in der Krankenpflege sind es zwei. Laut Studie gilt der Anstieg der offenen Stellen für nahezu alle Bereiche der Branche. Die Arbeitnehmerkammer fordert deshalb Maßnahmen zur Aufwertung der Sozialberufe wie einen verbindlichen Tarifvertrag für alle Träger und Beschäftigten im Pflegebereich und ein Modellprojekt zur dualen Ausbildung von Erzieherinnen mit einer Vergütung bereits in der Ausbildung. Die im rot-grün-roten Koalitionsvertrag verabredete Förderung der Gesundheitsbranche müsse zügig in konkrete Maßnahmen übersetzt werden.
„Eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, gute Pflegeleistungen, die Integration von Zugewanderten in Schule und Beruf – ohne die Menschen, die an diesen Themen arbeiten, ist kein Gemeinwesen denkbar“, sagt Ingo Schierenbeck, Geschäftsführer der Arbeitnehmerkammer. Die Sozialwirtschaft sei aber auch wirtschaftlich eine „Zukunftsbranche“, so Schierenbeck, denn ihre Dienstleistungen hätten mit einer direkten und indirekten Wertschöpfung von rund 2,5 Milliarden Euro einen erheblichen Anteil an der Regionalwirtschaft im Land Bremen.
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