Druck vom Verfassungsschutz

Das Verfassungsschutzgesetz bleibt umstritten. Sachverständiger kritisiert Überwachung ab zwölf Jahren

Von André Zuschlag

Nach dem Willen des rot-grünen Senats soll der Verfassungsschutz mehr Kompetenzen erhalten. Am Dienstag gab es in der Sachverständigenanhörung des Innenausschusses zwar kaum grundsätzliche Zweifel an der verfassungsmäßigen Konformität der Reform. Umstritten bleiben aber dennoch einige Kompetenzerweiterungen.

Vier Sachverständige waren von den Abgeordneten geladen worden und die Bandbreite der Stellungnahmen war groß: Während Dietmar Mar­scholleck, Ministerialrat in Horst Seehofers Bundesinnenministerium, voll des Lobes für den Gesetzentwurf war, kritisierte der Hamburger Anwalt Alexander Kienzle mehrere Paragrafen scharf: So können Hamburgs Verfassungsschützer*innen künftig Erkenntnisse über Personen an öffentliche Stellen wie Schulen, aber auch an nicht-öffentliche Einrichtungen wie etwa Vereine weitergeben.

Konkret sollen damit Radikalisierungstendenzen entgegengetreten werden, indem der Verfassungsschutz zunächst die Betreffenden darüber informiert, dass er seine Erkenntnisse weitergeben wird. Die Personen hätten dann noch Zeit, etwa den Fußballverein freiwillig zu verlassen und so eine Unterwanderung zu beenden. „Ob das auf rechtsstaatlichen Füßen steht, halte ich für fraglich, denn es hat sicher nötigenden Charakter“, sagte Kienzle dazu.

Damit einher ging es in der Anhörung auch darum, wen der Verfassungsschutz künftig in den Blick nehmen darf – nämlich auch Kinder. So soll die Altersgrenze von 14 auf zwölf Jahre gesenkt werden. Während Ministerialrat Marscholleck darin kein Problem sah, weil es auch bei polizeilichen Ermittlungen keine Altersgrenze gebe, sah Jan Dirk Roggenkamp, Professor an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin, eine „Stigmatisierungsgefahr von Jugend- beziehungsweise Kindersünden“. Es sei fraglich, ob die rechtlichen Hürden dafür hoch genug seien.

Auch Hamburgs Datenschutzbeauftragter Johannes Caspar hatte sich dazu schon im Vorfeld kritisch geäußert, weil die Regelung noch über das Verfassungsschutzgesetz auf Bundesebene hinausgehe: „Ob eine Verhältnismäßigkeit derartiger Regelungsermächtigungen gegenüber in besonderer Weise schutzbedürftigen minderjährigen Personen gegeben ist, erscheint fraglich.“

Deutlich wurde zudem, dass die geplante Quellen-Telekommunikationsüberwachung, die es dem Verfassungsschutz erlaubt, verschlüsselte Nachrichten abzugreifen, zumindest in der Praxis auf wackeligen rechtlichen Füßen steht. Denn die dafür eingesetzte Software dürfe nur konkrete Kommunikation auf Messenger-Diensten lesen, aber nicht weitere Daten vom Laptop oder Handy auswerten. „Eine solche Software gibt es bisher aber nicht“, sagte Roggenkamp.

Auch der Einsatz von V-Leuten bleibt weiter umstritten, wenngleich er rechtlich klarer geregelt werden soll. Anwalt Kienzle fand deutliche Worte: „Lehren aus dem sogenannten NSU werden hier nicht gezogen. Weder das institutionelle Eigenleben noch fragwürdige Arbeitspraxen werden dadurch angegangen.“