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Bewährte Planetary Health Diet

Die Berliner Künstlerin Lia Darjes entwickelt in ihrem Bildband „Tempora Morte“ eine zeitgemäße Verbindung von klassischem Stillleben mit aktueller dokumentarischer Fotografie. Ausgestellt ist sie in der Robert Morat Galerie

Von Frank Schirrmeister

Wenn es um Nachhaltigkeit und ressourcenschonende Ernährung geht, ist neuerdings öfter mal von der Planetary Health Diet die Rede. Erfunden haben sie Wissenschaftler, die sich Gedanken gemacht hatten, wie die Gesundheit der Menschen und der Erde gleichermaßen gewährleistet werden kann. Der Speiseplan, den sie sich vorstellen, beruht auf der Verdopplung des Konsums von Obst, Gemüse und Hülsenfrüchten. Der Verbrauch von Zucker und Fleisch müsste hingegen halbiert werden. Klingt gut, macht aber keiner freiwillig. Oder? Schaut man sich das Warenangebot auf den Bildern von Lia Darjes an, entdeckt der Betrachter genau jene Produkte und Lebensmittel, welche die Wissenschaftler für eine nachhaltige Ernährung empfehlen. Viel Obst wie Äpfel, Birnen und Johannisbeeren. Getrockneter Fisch, eingewecktes Gemüse, Pilze, Gurken, Melonen und Kartoffeln.

Dazu Blumen und ein paar Heiligenbildchen – beide gut fürs seelische Wohlbefinden. Fleisch ist überhaupt nur auf einem Bild zu sehen. Alle Produkte sind aus dem eigenen Garten und garantiert bio!

Was wie ein Wunschtraum aus dem Kosmos des Prenzlauer-Berg-Biedermeiers klingt, ist Realität auf den improvisierten Kaliningrader Straßenmärkten. Allerdings ist die russische Exklave eher unfreiwillig in die Rolle als Vorreiterin in Sachen nachhaltige Ernährung geraten. Das gesunde Angebot an regionalen Köstlichkeiten aus Wald und Flur zeugt eher von der Tatsache, dass viele Menschen schlicht auf den kleinen Nebenverdienst angewiesen sind, den ihnen der Verkauf selbst angebauten Gemüses einbringt. Für den an in Plastik verschweißtes Supermarktobst gewöhnten Betrachter mag in den Bildern der Marktstände mit ihrem bescheidenen Angebot ein gehöriger Schuss Romantik zu finden sein. Für die häufig betagten Ruheständler allerdings sind es schiere Not und die Hoffnung auf ein paar zusätzliche Rubel neben ihrer mageren Rente, die sie dazu bringen, ein paar Gürkchen, auf einer kleinen Kiste drapiert, feilzubieten.

Der gelungene Einsatz von Licht betont das Malerische

Entdeckt hat die Fotografin ihr Sujet im Rahmen eines Stipendiums, welches sie nach Kaliningrad führte. Als dokumentarische Stilllebenstudie bezeichnet sie ihre Arbeit. Was zuerst unvereinbar klingt, erschließt sich bei näherer Beschäftigung mit ihren Tableaus. Trotz des romantischen Gestus in den Bildern erzählt die Künstlerin durchaus von der harschen sozialen Realität und von einer Schattenwirtschaft, auf die viele Russen (wie schon in den postsowjetischen neunziger Jahren) angewiesen sind, um zu überleben. Dieser sozialrealistische Ansatz wird unterstützt durch vereinzelt eingestreute ­Porträts der Menschen hinter den informellen Verkaufsständen. Ernst und konzentriert – gar ein wenig skeptisch – schauen sie in die Kamera. Darjes’ kon­zep­tio­nel­le Überlegung, die Personen durch die Verwendung von Blitzlicht aus ihrer Umgebung herauszulösen und sie vor praktisch schwarzem Hintergrund zu präsentieren, verdichtet und personalisiert ihre Erzählung.

Formalästhetisch weist „Tempora Morte“ – so der Titel des Buchs – hingegen weit über reine Dokumentarfotografie hinaus und nähert sich der künstlerischen Tradition des klassischen Stilllebens an. Inszenieren musste Darjes dafür nichts. Die Arrangements der Produkte, wie sie den Kunden auf kleinen Kisten oder Kartons dargeboten werden, hätte sich kein niederländischer ­Stilllebenmaler des 17. Jahrhunderts besser ausdenken können. Der gelungene Einsatz von (künstlichem) Licht betont das Malerische der Kompositionen, die trotz ihrer Schlichtheit, oder gerade deshalb, zu berühren vermögen – und wenn es nur die Geschmacksknospen sind, die angesprochen werden, denn neben der künstlerischen Qualität der Bilder sehen die feilgebotenen Früchte in ihrer Ursprünglichkeit einfach unheimlich appetitlich aus. Soll man es bedauern, dass diese Art Kleinst­ökonomie im Westen so gut wie verschwunden ist? Aber wer weiß, wenn die Voraussagen über kommende Altersarmut stimmen, mögen solche Straßenmärkte auch hierzulande eine Zukunft haben.

Lia Darjes: „Tempora Morte“. Hartmann Books 2019, 72 S., 30 Abb., 28 Euro. Ausstellung: Robert Morat Galerie, bis 21. 12.

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